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Warnungen vor wachsendem Antisemitismus am Jahrestag der Pogromnacht

Am Jahrestag der NS-Pogromnacht vom 9. November 1938 sind zahlreiche Warnungen vor einem wachsenden Antisemitismus in Deutschland laut geworden. Dies sei ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, sagte der Vorsitzende der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Jürgen Wilhelm, am Sonntag in einer Gedenkveranstaltung in der Kölner Synagoge. Auch Altbundespräsident Joachim Gauck, der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, und Israels Botschafter Ron Prosor mahnten, sich gegen Judenhass zu stellen.

Wilhelm beklagte einen „getarnten“ Antisemitismus, der „den Umweg über die sogenannte korrekte Sprache und den passenden moralischen Rahmen“ gehe. Die Universitäten seien „zu antisemitischen Hotspots geworden, an denen der Israelhass mit dem Gestus pseudointellektueller und moralischer Überlegenheit zelebriert wird“, sagte er laut Redetext. Es gebe auch islamischen Antisemitismus und „den Antisemitismus der AfD, der sich hinter Chiffren wie ‘Globalisten’ oder der irrwitzigen, dümmlichen, aber gefährlichen Verschwörungserzählung des ‘Großen Austauschs’ versteckt“.

Altbundespräsident Gauck forderte im Berliner „Tagesspiegel“ (Samstag) mehr Beschäftigung mit Antisemitismus aus dem arabischen Raum und von der politisch linken Seite. „Egal wo Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit herrühren: Wir brauchen mehr Entschlossenheit beim Schutz der Menschenwürde“, sagte er.

Auch Zentralrats-Chef Schuster warnte in der Zeitung vor einer „unheilvollen Allianz“ zwischen islamistisch motiviertem und linkem Antisemitismus, der sich „ins Gewand des sogenannten Antizionismus“ kleide. Dies sei eine neue und akute Bedrohung für jüdisches Leben in Deutschland.

Der Linken-Vorsitzende Jan van Aken kritisierte Gaucks Äußerungen. Antisemitismus sei in Deutschland vor allem ein Phänomen der Mehrheitsgesellschaft, die auch in einer jahrhundertealten Tradition stehe, sagte er. „Insofern steht es allen, sowohl uns als auch ehemaligen Bundespräsidenten, gut zu Gesicht, den Antisemitismus nicht anderen zuzuschieben, sondern im eigenen Umfeld und im eigenen Dorf kritisch und wachsam zu sein.“

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) sagte dem „Tagesspiegel“ (Sonntag), es dürfe bei Judenfeindlichkeit „keine Zurückhaltung, keinen kulturellen Rabatt und erst recht keine Relativierung oder gar Verständnis“ geben.

Der israelische Botschafter Ron Prosor bezeichnete in den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (Sonntag) den linken Antisemitismus als den gefährlichsten, weil er seine Absichten verschleiere. Er bewege sich „immer an der Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Aufhetzungsfreiheit“. In Europa sehe man das an Hochschulen und Theatern: „Die rote Linie dessen, was von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, ist längst überschritten.“