Wagnis Vertrauen
Über den Predigttext zum 12. Sonntag nach Trinitatis: Apostelgeschichte 3,1-10
Predigttext
1 Petrus und Johannes gingen zur Gebetszeit um die neunte Stunde in den Tempel hinauf. 2 Da wurde ein Mann herbeigetragen, der von Geburt an gelähmt war. Man setzte ihn täglich an das Tor des Tempels, das man die Schöne Pforte nennt; dort sollte er bei denen, die in den Tempel gingen, um Almosen betteln. 3 Als er nun Petrus und Johannes in den Tempel gehen sah, bat er sie um ein Almosen. 4 Petrus und Johannes blickten ihn an und Petrus sagte: Sieh uns an! 5 Da wandte er sich ihnen zu und erwartete, etwas von ihnen zu bekommen. 6 Petrus aber sagte: Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, steh auf und geh umher! 7 Und er fasste ihn an der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich kam Kraft in seine Füße und Gelenke; 8 er sprang auf, konnte stehen und ging umher. Dann ging er mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott. 9 Alle Leute sahen ihn umhergehen und Gott loben. 10 Sie erkannten ihn als den, der gewöhnlich an der Schönen Pforte des Tempels saß und bettelte. Und sie waren voll Verwunderung und Staunen über das, was mit ihm geschehen war.
(Einheitsübersetzung, 2016)
"Wunder gibt es immer wieder, heute oder morgen können sie geschehen. Wunder gibt es immer wieder, wenn sie dir begegnen, musst du sie auch sehen.“
Dieses Lied sang Katja Epstein 1970 mit großem Erfolg, weil es die Sehnsucht des Menschen nach Glück aufnimmt und zugleich das Wunder erwartet, das unverhofft in das Leben einbricht. Von solch einem unerwarteten Wunder erzählt der biblische Text. Da gibt es einen gelähmten Mann, der tagtäglich vor dem Tempel sitzt und um Almosen bittet. Sein Anteil an der Religion ist das Mitleid der Gläubigen, die in den Tempel gehen um zu beten. Das scheint ihm auch zu reichen, er kennt nichts anderes. Erst als er Petrus und Johannes begegnet, eröffnet sich ihm eine neue Wirklichkeit. „Sieh uns an!“, so spricht ihn Petrus an. Er baut eine Beziehung zu dem Gelähmten auf und dann gibt Petrus ihm nicht das erwartete Geld, sondern das, was er ihm geben kann: „Steh auf im Namen Jesu.“ Er fasst ihn an und richtet ihn auf.
Und der Gelähmte kann gehen, zum ersten Mal in seinem Leben steht er auf seinen eigenen Beinen. An diesem Nachmittag um 15 Uhr fängt nach über vierzig Jahren sein Leben richtig an. Das ist eine wundervolle Geschichte der Verwandlung. An dieser Stelle der Bibel wirkt nicht Jesus selbst dieses Wunder, sondern die Jünger bewirken in seinem Namen diese Veränderung.
Bei Gott sind alle Dinge möglich! Er stellt unser Leben auf den Kopf, wenn wir uns von ihm anrühren lassen. Das Reich Gottes ist mitten in unserer Welt, wenn wir es zulassen, wenn wir wirklich offen sind für eine Veränderung in unserem Leben. Es gibt einiges, was uns lähmt: Ängste vor Lieblosigkeit, Armut, Krankheit und Tod. Jesus hat uns gezeigt, wie wir mit diese Ängste umgehen. Er hat gezeigt, wie das geht: eine Beziehung zu Gott zu haben. Im Gebet spricht er Gott als „Abba“, als Vater an und wir dürfen das auch. Mit Gott kann ich aufbrechen und Neues wagen.
Im Studierendenpfarramt habe ich besonders mit jungen Menschen zu tun, die in solchen Aufbrüchen leben. Hier sind viele, die sich ansprechen lassen – auf Gott und von Gott –, die neugierig sind auf das Leben mit allen seinen Möglichkeiten. Nationale und internationale Studierende finden hier eine Gemeinde für diesen Lebensabschnitt. Neuanfänge haben keine Altersbeschränkung. In jeder Lebensphase und in jeder Glaubensphase wird es diese Aufbrüche geben. Ich darf nicht in meiner Komfortzone steckenbleiben. Der Gelähmte wird in dieser Begegnung aus seinem Leben, in dem er sich eingerichtet hat, herausgerissen und macht eine unglaubliche Glaubenserfahrung. Wir hören etwas von seiner neu gewonnenen, unbändigen Lebenslust, wenn wir lesen, dass der vormals Gelähmte nun umherspringt.
Manchmal geht das aber nicht; auch das gibt es. Manchmal habe ich keinen Glauben mehr. Manchmal kann ich nicht glauben, dass Gott dieses Leiden bei mir oder anderen zulässt. Vielleicht hat auch der Gelähmte so gedacht, und dann platzt Gott in sein Leben und hilft ihm auf. Heilung ist nicht allein von unserem Glauben abhängig, sondern von Gott. Der Theologe Klaus Berger nennt das eine „bewusste Provokation Gottes“. „Er wolle dort wirksam werden, wo er gerade abwesend zu sein scheint.“
„Wunder gibt es immer wieder“, wenn es uns gelingt die ausgestreckte Hand Gottes zu ergreifen, uns aufrichten zu lassen und in die Welt zu gehen. Lasst uns etwas wagen in dieser Welt, im Einsatz für die Menschen, die Bewahrung der Schöpfung und den Frieden. Dann wird aus der heilsamen Unruhe, wie ich sie auch in meiner Studierendengemeinde tagtäglich erlebe, ein Aufbruch für unsere Welt.