Vor 80 Jahren: NS-Regime schließt Theater und schützt Künstler

In der Endphase des Zweiten Weltkriegs stellte das NS-Regime seine “Gottbegnadeten-Liste” zusammen. Künstler, die bei den Nationalsozialisten hoch im Kurs standen, sollten vom “totalen Krieg” ausgenommen werden.

Was haben der Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann, der Bildhauer und spätere Dali-Intimus Arno Breker oder Ausnahmedirigent Wilhelm Furtwängler gemeinsam? Sie alle wurden kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges unter den besonderen Schutz des NS-Regimes gestellt. Treibende Kraft hinter dem Unterfangen war Joseph Goebbels, der im Februar 1943 den “totalen Krieg” ausgerufen hatte.

Am 26. August 1944 notierte der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda sowie Präsident der Reichskulturkammer in seinem Tagebuch: “Wir stellen eine sogenannte ‘Gottbegnadetenliste’ auf, von etwa 300 bis 400 wirklich hervorragenden, über die Zeit wirkenden Künstlern, die von Front- und Arbeitsdienst freigestellt werden sollen.”

Die Arbeit fiel zeitlich mit einem weiteren Ereignis vor 80 Jahren zusammen. Der Schließung von Theatern und Varietes am 1. September 1944. Bei diesen und anderen Maßnahmen handelte es sich nach den Worten des britischen Historikers Ian Kershaw um “tiefe Einschnitte ins öffentliche Leben”. Als es dunkel wurde auf Deutschlands Bühnen dämmerte den anwesenden Zeitgenossen, dass der Krieg in eine neue Phase trat – auch wenn die meisten sich dessen Ende noch nicht vorstellen konnten oder wollten.

Der Intendant des Deutschen Theaters in Wiesbaden beispielsweise berichtete von der Abschlussvorstellung, einer Inszenierung von Richard Wagners Oper “Die Walküre” am 31. August. Das Publikum habe “bei festlich beleuchtetem Hause” wie ein Mann hinter den Künstlern gestanden. “Blumen wurden auf die Bühne geworfen, Menschen umarmten sich und weinten. Das Haus mußte schließlich verdunkelt werden, da der Beifall nach über einer halben Stunde immer noch andauerte und kein Ende finden wollte.”

Draußen mordete das Volk der Dichter und Denker derweil weiter: in den Konzentrations- und Arbeitslagern, an und hinter der Front. Aber auch viele Deutsche bekamen nun die Brutalität des vom Hitler-Regime entfesselten Krieges mit aller Wucht zu spüren. Großstädte etwa wurden immer öfter Ziel von alliierten Bombenangriffen. Der “Führer” ließ daraufhin durch die NS-Volkswohlfahrt 190.000 Flaschen “Eierkognak” unter den Betroffenen verteilen.

Auch in seiner Endphase funktionierte die Bürokratie in Deutschland mit beinahe gespenstischer Gründlichkeit – nicht nur in der Todesfabrik des Vernichtungslagers Auschwitz. “Schnellbriefe” gingen noch Anfang 1945 zwischen den Reichspropagandaämtern und Goebbels’ Ministerium in Berlin hin und her, um mit akribischer Gründlichkeit einer Beschwerde der Organisation “Kraft durch Freude” nachzugehen, die sich darüber beklagte, im Gegensatz etwa zu den Kulturämtern der Städte keinerlei kulturelle Veranstaltungen mehr durchführen zu können.

Die “Gottbegnadeten” hatten Anfang September 1944 eine Bescheinigung zur Vorlage beim jeweiligen Arbeitsamt erhalten, damit sie weiterhin ihrer künstlerischen Tätigkeit nachgehen konnten. Im engeren Sinne handelte es sich um 378 in der Mehrheit männliche Kulturschaffende. Schlussendlich kamen 1.042 Personen in den Genuss der Ausnahmeregelung, die aber wohl nicht allzu lange gültig blieb. Der eigentümliche Begriff “gottbegnadet” tauchte laut Kunsthistoriker Wolfgang Brauneis im NS-Kunstbetrieb seltener auf als “artrein” oder “arisch”. Gleichwohl bezeichnete er “in nicht minderem Maße einen völkischen, antisemitischen und metaphysisch überhöhten Kunstbegriff”.

Die “Gottbegnadeten” gehörten oftmals zu Profiteuren des Regimes, die meisten standen schon 1938 auf “Steuerfreistellungslisten”. Noch etwas eint diese Gruppe: Nach 1945 setzten viele Künstlerinnen und Künstler ihre Karriere weitgehend ungehindert fort. Selbst teilweise verfemte Bildhauer wie Arno Breker konnten dabei im wahrsten Sinne des Wortes auf einflussreiche Netzwerke bauen. Der Kölner Gerling-Konzern, aber auch Bundeskanzler Ludwig Erhard oder der einflussreiche Bankier Hermann Josef Abs sorgten mit Aufträgen für sein Auskommen, wie Brauneis festhält. In viele Städten hinterließen Breker und Co ihre Spuren. Eine kritische Einordnung werden Passanten meist vergeblich suchen.