Vor 100 Jahren wurde Kinderbuch-Autor Otfried Preußler geboren
Kinder seien das beste und klügste Publikum, das man sich als Geschichtenerzähler wünschen könne. Sie seien strenge, unbestechliche Kritiker, war Otfried Preußler überzeugt. Am 20. Oktober wäre er 100 Jahre alt geworden.
Die „kleine Hexe“ würde nur müde lächeln. Was sind schon 100 Jahre, wo sie doch mit 127 noch zu jung ist, um von den großen Hexen anerkannt zu werden? Otfried Preußler (1923-2013) dürfte es ihr nachsehen. In seinem fast 90-jährigen Leben hatte er es zu einem weithin anerkannten Kinder- und Jugendbuchautor gebracht. Auch über seinen Tod hinaus sind die Bücher über den kleinen Wassermann (1956), den Räuber Hotzenplotz (1962) oder das kleine Gespenst (1966) sowie deren Verfilmungen beliebt. Die Gesamtauflage seiner Werke liegt weltweit bei über 50 Millionen Exemplaren, die in mehr als 50 Sprachen übersetzt wurden.
Angefangen hat alles in Böhmen. Am 20. Oktober 1923 kam Preußler, die Familie hieß damals noch Syrowatka und änderte später ihren Namen, in Reichenberg zur Welt. Sein Vater war Lehrer und Volkskundler. Dessen Erzählungen und die von Großmutter Dora prägten den kleinen Otfried. Abends setzten sich die Menschen im Lichtschein der Petroleumlampe zusammen und trugen einander Sagen und Geschichten vor. „Mein Vater stenografierte alles mit, und auch ich nahm als Achtjähriger alles in mir auf.“ Aus diesem Fundus schöpfte er. So diente dem Hotzenplotz ein historischer Raubmörder namens Karasek als Vorbild.
Die Zeiten waren für Preußler nicht immer rosig. Gleich nach dem Abitur wurde er 1942 Soldat an der Ostfront; ab 1944 verbrachte er dann fünf Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. „Ich habe meine Erfahrung mit der Diktatur gemacht“, sagte der Autor später, wobei er einräumte, anfangs der Ideologie des Nationalsozialismus nahegestanden zu haben. Aufgearbeitet hat er diese düstere Zeit in einem Roman, für den er zehn Jahre brauchte: „‚Krabat‘ ist die Geschichte meiner Generation, die sich zu Macht verführen hat lassen und dann erst gemerkt hat, wo das Ganze hinläuft.“
1949 wurde Preußler von den Russen entlassen, doch in die Heimat konnte er nicht zurück. Es verschlug ihn ins oberbayerische Rosenheim, wo sich seine Angehörigen nach der Vertreibung niedergelassen hatten. Nicht nur seine Eltern und den jüngeren Bruder traf er dort wieder, sondern am Bahnhof wartete mit einer Rose in der Hand seine Verlobte Annelies. Sein erstes Geld verdiente sich Preußler in einer Fabrik, aber bald als freier Journalist und mit Beiträgen für den Rundfunk.
Um eine Familie ernähren zu können, baute er sich letztlich eine Existenz als „Schulmeister“ auf. Seine Frau und die drei Töchter, die dem Paar geboren wurden, waren immer die ersten Testpersonen für seine Geschichten – und natürlich die Schüler. Wenn er zu erzählen anfing, kam Ruhe in die Klasse. Bis 1970 arbeitete Preußler als Lehrer, dann widmete er sich nur noch der Schriftstellerei. Jungen Leuten, die Autor werden wollten, riet er stets, erst einen „gescheiten Beruf“ zu erlernen. „Nur wenn ich nicht um Brot schreiben muss, bin ich frei in meinen Entscheidungen.“
„In jeder meiner Geschichten, sie sei kurz oder lang, sie sei ernst oder lustig, steckt ein Stück meines gelebten Lebens und der ganze Preußler“, bekannte der Autor einmal. Die Ideen dazu kamen ihm oft auf Spaziergängen, weswegen er ein Diktiergerät bei sich trug, um Gedanken festzuhalten. Bekam er Briefe von seinen jungen Lesern, galt für den Pädagogen, keinen länger als acht Tage unbeantwortet zu lassen. Denn: „Wir wollen die Kinder ja nicht enttäuschen.“
Freundschaften pflegte er nicht nur mit früheren Klassenkameraden, sondern auch mit anderen Kinderbuchautoren wie etwa Michael Ende: „Wir konnten viele gemeinsame Interessen, hauptsächlich was Zauberei und Hexenkünste betrifft, feststellen“, hält er in einem Brief an seine Verlegerin fest.
Seinen Lebensabend verbrachte Preußler nach dem Tod seiner Frau 2006 in einer betreuten Altersresidenz am Chiemsee. Er starb am 18. Februar 2013 in Prien. Auf Gottes Welt hab er gerne gelebt und gearbeitet, wie der Autor betonte, getreu seinem Wahlspruch: „Dankbar für jeden Tag!“ Vor allem galt seine Sorge den nächsten Generationen: „Seien Sie gut zu den Kindern, wir haben nichts Besseres!“