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Vor 100 Jahren fanden die ersten Olympische Winterspiele statt

Fun Fact: Die ersten Olympischen Winterspiele waren eigentlich gar keine. Inzwischen ist aus der “Internationalen Wintersportwoche” ein milliardenschweres Spektakel geworden – mit mittelschweren Abnutzungserscheinungen.

Was waren das noch für Zeiten! Vor 100 Jahren, am 24. Januar 1924, trafen sich in dem französischen Alpenort Chamonix exakt 258 Athleten, um in den folgenden zwölf Tagen bei einer “Internationalen Wintersportwoche” die Besten ihres Fachs zu ermitteln und zu ehren. Bobfahrer und Skispringer waren ebenso vertreten wie beispielsweise Curling-Asse oder Freunde einer Disziplin namens “Militärpatrouille”, die einigen Experten als Vorläufer des Biathlon gilt. Zu gendern erübrigte sich in den meisten Fällen: Bis auf 13 Damen im Eiskunstlauf blieben die Herren der Schöpfung unter sich.

Sommerspiele wurden bereits seit 1896 abgehalten. Bei der Winterauflage tastete sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) zunächst zaghaft an die Materie heran. Zwar hielt es schon bei der Wintersportwoche in Chamonix die Fäden in der Hand. Aber erst zwei Jahre später wurde das Event zu den ersten Olympischen Winterspielen umdeklariert. Vorbehalte kamen etwa aus den skandinavischen Staaten, die bereits eigene Wettbewerbe etabliert hatten. Doch letzten Endes zeigte sich schon 1924, dass das Konzept aufging. Rund 10.000 zahlende Zuschauer und 88 Journalisten aus 14 Ländern trugen dazu bei, dass das französische Olympische Komitee eine äußerst zufriedene Bilanz zog.

Die erhaltenen Fotos und Schwarz-Weiß-Filmaufnahmen zeigen ernst dreinblickende Juroren mit Schiebermütze und in Pelz gehüllt, die mit Klemmbrettern bewaffnet augenscheinlich unter freiem Himmel die Darbietungen im Eiskunstlauf begutachten. Auf Holzgerüsten folgt das Publikum den Skisprung-Wettbewerben, bei denen die Athleten noch die Arme weit nach vorne streckten, statt sie eng am Körper zu halten. Mit heller Bommelmütze und ebensolchem Rollkragenpullover blickt Charles Jewtraw in die Kamera. Der US-Amerikaner, Sieger im 500-Meter-Eisschnelllauf, wird als erster Goldmedaillengewinner in der Geschichte der Olympischen Winterspiele geführt.

Im Eishockey sorgten die Kanadier für Furore: Sie gewannen das Turnier mit 122 Toren – bei lediglich 3 Gegentreffern. Im Eiskunstlauf machten die Österreicherinnen Helene Engelmann im Paarlauf und Herma Planck-Szabo im Einzelwettbewerb auf sich aufmerksam. Nicht aufs Podium schaffte es die erste elfjährige Norwegerin Sonja Henie, deren Stern erst in den späten 20er Jahren aufging. Immerhin soll der spätere Superstar in Chamonix zu seinem Spitznamen “Fräulein Hoppla” gekommen sein. Mit einem überraschten “Hoppla” habe Henie einen Ausrutscher im Wettbewerb quittiert, bevor sie ihre Kür fortsetzte.

Altes olympisches Gesetz: Kampfgeist wird belohnt – und sei es nur mit Applaus. Beim Skilanglauf über 50 Kilometer schleppte sich der Letztplatzierte, der Pole Szczepan Witkowski, bei widrigen Windverhältnissen rund zweieinhalb Stunden nach dem Sieger ins Ziel, dem Norweger Thorleif Haug. Eine Ausdauerleistung ganz anderer Art erbrachte der US-Amerikaner Anders Haugen. Er musste 50 Jahre auf seine Bronzemedaille im Skispringen warten. “Wegen eines Rechenfehlers wurde ihm der dritte Platz aberkannt”, heißt es auf der IOC-Seite. Erst 1974 bekam Haugen seine Auszeichnung – da war er 83.

Deutsche gingen in Chamonix nicht an den Start; sie mischten erst später mit. 1936 wurde Garmisch-Partenkirchen Austragungsort der vierten Olympischen Winterspiele. Das NS-Regime wusste das Ereignis für seine Propaganda zu nutzen – ebenso wie die Sommerspiele im gleichen Jahr in Berlin. Rückblickend betrachtet war das der erste Sündenfall des IOC. An Fahrt aufgenommen hat die Debatte über das Verhältnis des IOC zu Menschenrechten in den vergangenen 20 Jahren. Beispielhaft dafür stehen die Winterspiele im russischen Sotschi 2014 und in Peking 2022.

Zu weiteren Problemen gehören: ausufernde Kosten, Bauruinen und massive Mängel in Sachen Umweltbewusstsein. Selbst IOC-Präsident Thomas Bach deutete zuletzt an, dass speziell die Olympischen Winterspiele aufgrund des sich ändernden Klimas in vielen Regionen an einem Wendepunkt stünden. Mit Blick auf die 25. Winterspiele in Cortina d’Ampezzo und Mailand 2026 ist von der neuen Bescheidenheit wenig zu spüren. Rund 2.900 Sportlerinnen und Sportler werden erwartet.