Von der Bühne in den Gottesdienst

Dass Kirche und Theater einander befruchten können, zeigt eine neue Kooperation in Siegen. Dort wird das Stück „Immermann reloaded“ im Theater aufgeführt – und in der Kirche.

Verglühen in der Gier nach Geld: Das ist das Thema von Philipp Hochmairs Version des „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal. Wie leben, wenn es ans Sterben geht? Diese Frage stellen das Siegener Apollo-Theater und die Kirchen neu.
Verglühen in der Gier nach Geld: Das ist das Thema von Philipp Hochmairs Version des „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal. Wie leben, wenn es ans Sterben geht? Diese Frage stellen das Siegener Apollo-Theater und die Kirchen neu.Stephan Brückler/Theater Siegen

Zwei Institutionen sind in Siegen eine neue Kooperation eingegangen: „Theater & Kirche“ verbindet die künstlerische Ausdruckskraft des Apollo-Theaters mit den spirituell-interpretativen Möglichkeiten des christlichen Glaubens. Bei „Theater & Kirche“ arbeiten die Stadt- oder Citykirchen-Teams der evangelischen Lukas-Gemeinde und der katholischen Kirche zusammen. Bei der Premiere des Formats stand „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ im Mittelpunkt des Geschehens. Zunächst im Theater und dann in der Nikolaikirche ging es um ein Werk, das in schonungslos drastischen Bildern ein hoffnungslos verfahrenes Ehe-Szenario zeigt.

Pfarrer Stefan König auf der Kanzel

 

Er habe lange darüber nachgedacht, wie er das wüste Treiben in der Fassung von Apollo-Intendant Markus Steinwender in einem Gottesdienst aufarbeiten könnte, sagt Pfarrer Stefan König. Gefunden habe er einen Zugang über 1. Korinther 13, das „Hohelied der Liebe“ – Wunschtext vieler Brautpaare und ein Gegenentwurf zum Beziehungskonzept der Eheleute aus Edward Albees Klassiker. Gespiegelt wurden Predigttext und liturgische Elemente mit Schlüsselstellen aus dem Bühnenstück. Milan Pešl und Elisabeth Nelhiebel lasen in der Kirche vor, was Georg und Martha sich zu sagen hatten (oder auch nicht). Einfach so. Und das Hören dieses bloßen Sprechtexts rührte an.

Berührung mit „sakraler Unsichtbarkeit“

Für die seitens des Theaters Beteiligten sei die Reflektion der im Stück verhandelten Themen im Gottesdienst „ein großer Gewinn“ gewesen, sagt Apollo-Dramaturgin Eva-Maria Trütschel. „Uns kam dabei auch die Assoziation zu Peter Brooks ,Der leere Raum‘, in dem er das ,heilige Theater‘ und ,das Bedürfnis nach echter Berührung mit einer sakralen Unsichtbarkeit durch das Theater‘ beschreibt.“ Die Zusammenhänge von Theater und Kirche würden dabei auch auf der Ebene der Präsentation klar: „Eine Person spricht, ist auf einer ,Bühne‘, viele andere hören zu, denken mit, machen mit.“

Schauspielerin Elisabeth Nelhiebel in der Siegener Nikolaikirche

Für Elisabeth Nelhiebel sei jener Moment besonders eindrücklich gewesen, in dem der Pfarrer am Beginn des Gottesdienstes mit Blick auf den Altarraum innegehalten habe, um sich seiner Aufgabe besonnen und emotional widmen zu können. Das kenne sie als Schauspielerin auch: diesen Moment des In-sich-Gehens vor einer Vorstellung, die Vorbereitung aller Sinne auf das, was kommt.

Sowohl Theater als auch Kirche sind sich in Siegen einig, dass die Kooperation künftig einen festen Platz in Theatersaison und Kirchenjahr haben soll. Als gegenseitige Bereicherung und Chance.

Termine:
„Jedermann reloaded“ mit Philipp Hochmair und der Band „Die Elektrohand Gottes“ wird am 1. Juni um 19 Uhr in der St. Marien-Kirche in Siegen reflektiert; die Aufführung im Apollo-Theater Siegen folgt am 3. Juni um 19.30 Uhr. Ticketinfo: Telefon (02 71) 77 02 77 20.