Vom Säen und Ernten

Ein uralter Kreislauf prägt bis heute unser Leben – ganz wörtlich und im übertragenen Sinn. Auch die Bibel erzählt davon.

Erde aufgraben. Den Geruch wahrnehmen. Die Kühle und Feuchtigkeit. Sorgfältig ein Samenkorn hineinlegen, andrücken und gießen. Und dann warten. Wässern, düngen, sorgen, hoffen. Bis die Pflanzen sprießen, die Früchte wachsen und die Zeit der Ernte kommt.

Der Kreislauf von Saat und Ernte ist eine uralte Menschheitserfahrung, und er hat sich seit der Sesshaftwerdung der Menschen im Prinzip nicht groß verändert. Sicher, man kann ihn bis zu einem gewissen Grad optimieren. Man kann die besten Samen auswählen, Nährstoffe zuführen, Schädlinge fernhalten; man kann schwere Maschinen einsetzen, Kunstdünger, Insektizide oder Gentechnik – aber das Geheimnis des Wachstums selbst bleibt. Die Bibel nennt dieses Geheimnis „Segen“, und Paul Gerhardt beschreibt in seinem Erntedank-Lied „Wir pflügen und wir streuen“, wie Gott diesen Segen in den Wechsel der Jahreszeiten, in Tau und Regen, Sonn- und Mondenschein „zart und künstlich“ einwickelt, als wäre er ein Geschenk.

Ohne dieses Geschenk können Menschen buchstäblich nicht überleben. Und so sehr sie sich auch mühen, ihren Teil zum Wachsen und Reifen beizutragen, liegt das Gelingen letztlich außerhalb ihrer Macht. Eine Erfahrung, die nicht nur für gutes oder schlechtes Wachstum auf dem Feld und reichen oder kargen Ertrag bei Früchten gilt, sondern auch für das Menschenleben – auch dieses Bild greift die Bibel auf.

Die Regel, die hier zunächst angeführt wird, heißt: „Was der Mensch sät, wird er ernten“ (Galater 6,7). Also: Wer gut sät und sich um die Saat müht, der erntet reich; wer seine Saat vernachlässigt, geht leer aus, und: „Wer Unheil sät, wird Unheil ernten“ (Sprüche 22,8). Was gesät werden soll, ist auch klar: „Säet Gerechtigkeit und erntet nach dem Maße der Liebe!“ (Hosea 10,12). Und wer Gottes Gesetz befolgt, der ist wie ein Baum am Bach, „der seine Frucht bringt zur rechten Zeit“ (Psalm 1).

Aber auch hier liegt es nicht in menschlicher Hand, ob die Samen wirklich am Ende die erhoffte Frucht bringen – eine Erfahrung, die wohl jede und jeder im Laufe des Lebens macht. Gelingt eine Beziehung, hält sie lange Jahre, vielleicht ein Leben lang – oder verkümmert sie irgendwann, wie eine Pflanze, die zu wenig Nährstoffe bekommt? Tragen unsere Sorgen um Kinder und Enkel und unsere Liebe für sie Früchte – oder gibt es Konflikte und Enttäuschungen? Haben wir Erfolg bei dem, wofür wir Arbeit und Energie eingesetzt haben, im Beruf oder im Ehrenamt – oder müssen wir es irgendwann aufgeben, weil die Ernte, auf die wir gewartet haben, ausbleibt?

Und wie ist es mit dem Glauben? Trägt er Früchte – für uns persönlich in Form von Vertrauen in Gott und für andere als Einsatz für Gerechtigkeit und Nächstenliebe? Oder welkt er eher vor sich hin und müsste eigentlich mal wieder ordentlich gedüngt und gegossen werden?

Wachstum gehört zum Leben, aber es gedeiht längst nicht alles so, wie wir uns das vorstellen. Und am Ende welkt und stirbt jede Pflanze, ob mit oder ohne Frucht. Der Apostel Paulus nimmt auch das auf im Bild von Saat und Ernte: „Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Niedrigkeit und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft.“ (1. Korinther 15,42-43). Einmal, so seine Hoffnung, wird es vorbei sein mit der Sorge um die Samen, die wir im Leben pflanzen. Dann wird nichts mehr welken und sterben, sondern einfach leben, vor Gott.

Der Erntedank-Tag ist ein Tag der Dankbarkeit und der Freude: Samen sind gekeimt, Früchte gewachsen. Wir haben dazu getan, was wir konnten. Manches ist gelungen, anderes gescheitert. Vielleicht hätten wir uns die Ernte üppiger gewünscht und die Früchte größer und schöner. Aber was wir haben, nehmen wir aus Gottes Hand, als Geschenk des Segens.