Vom Rand in die Mitte

Frankfurt (Oder) bewirbt sich als Standort für das „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“. Und hat gute Chancen. Ein Kommentar.

Voraussichtlich am 14. Februar entscheidet die Jury über den Standort des geplanten „Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische Transfor- mation“ unter den ostdeutschen Bewerber-Kommunen. In Frankfurt (Oder) könnte es an der Stadtbrücke zur polnischen Zwillingsstadt Słubice entstehen.
Voraussichtlich am 14. Februar entscheidet die Jury über den Standort des geplanten „Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische Transfor- mation“ unter den ostdeutschen Bewerber-Kommunen. In Frankfurt (Oder) könnte es an der Stadtbrücke zur polnischen Zwillingsstadt Słubice entstehen.Uwe Baumann

Zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit hing der Haussegen schief. Überrascht bemerkten politische Verantwortliche 2019, dass in den ­ostdeutschen Bundesländern nach 1990 nicht geräuschlos ein vermeintlicher bundesdeutscher Normalzustand gewachsen war.

Daraufhin setzte die Bundes­regierung die Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ ein. Endlich wurden die Mühen der Menschen in Ostdeutschland besonders in den 1990er Jahren gewürdigt – der ­wirtschaftliche Zusammenbruch, der Geburtenknick, die gebrochenen Lebensläufe und die darauf­folgenden Aufbauleistungen.

Die zentrale Empfehlung der Kommission war die Gründung ­eines „Zukunftszentrums Deutsche Einheit und Europäische Transformation“. Ein architektonisch interessanter Neubau soll entstehen. In ihm sollen 200 Mitarbeitende die Friedliche Revolution und den ­anschließenden Umbau erforschen, sie mit Kulturprojekten würdigen und zur gesellschaftlichen Diskussion einladen – ähnlich wie im Solidarność-Zentrum in Gdansk. Dabei sollen auch die östlichen Nachbarländer einbezogen werden. Denn die Entwicklungen in Deutschland sind eng mit ihnen verbunden. Gleichzeitig sollen zukünftige Transformationsprozesse im Blick sein.

Standort gesucht

Aber wo könnte das Zentrum ein Zuhause finden? Neben Leipzig, Halle, Eisenach und Jena bewarb sich Frankfurt (Oder). Aus dem Überraschungskandidaten wurde ein Mitfavorit. Denn obwohl es die kleinste Bewerberstadt ist, bietet Frankfurt alles, was ein zukünftiger Standort braucht: Eine engagierte Wendegeschichte im Herbst 1989. Einen dramatischen Abbruch­prozess in den 1990er Jahren. Eine Aufbruchsgeschichte, die besonders mit der Neugründung der Europa-Universität Viadrina verbunden ist. Sie kann hervorragende Beziehungen nach Osteuropa und eine ­herausragende Transformationsforschung einbringen. Und ihre Internationalität hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Stadt sich nach rechtsextremer Gewalt in den 1990er Jahren zu einer weltoffenen Stadt mit einer europäischen Identität entwickelt hat.

Schließlich kann Frankfurt ein einmaliges Baugrundstück anbieten, direkt an der Stadtbrücke zur polnischen Zwillingsstadt Słubice. Es würde die europäische Zukunft und die Öffnung zu den Nachbarn unübertroffen symbolisieren.

Die Stadt am Rand

Manche bemängeln die Randlage Frankfurts in Deutschland. Müsste ein Zukunftszentrum nicht in der Mitte liegen? Aus Frankfurter Sicht ist es genau umgekehrt: Die Stadt liegt in der Mitte Europas, mit ­genauso guten Verbindungen nach Warschau und Budapest wie nach Leipzig und Frankfurt (Main). Dort liegt die Zukunft Deutschlands, nicht in der selbstbezogenen Pflege der nationalen Geschichte.

Die Frankfurter Bewerbung hat eine riesige Resonanz erzeugt. Und mit unserem Oekumenischen Europa-Centrum (OEC) haben wir die Kampagne der Stadt unterstützt. Denn das Zukunftszentrum würde in viel größerem Maßstab unser zentrales Anliegen aufnehmen. Getreu unserem Leitspruch „Europa eine Seele geben“ gab es bisher über 130 „Grenzgespräche“. In ihnen haben wir unsere Umbruchsprozesse diskutiert und die europäischen Nachbar*innen kennengelernt. In ökumenischen Gottesdiensten und auf Bildungsreisen haben wir ­unsere Gemeinschaft vertieft. Und Universitätsabsolvent*innen aus unserem Studienhaus „Hedwig von Schlesien“ gestalten inzwischen die Transformationsprozesse in Deutschland und Polen verantwortlich mit.

Die Entscheidung über den Ort des Zukunftszentrums liegt nun bei einer Fachjury. Mitte Februar soll es soweit sein. Eine Entscheidung für Frankfurt wäre zukunftsweisend. In der Stadt und darüber hinaus werden dafür viele Gebete gesprochen.

Frank Schürer-Behrmann ist Superintendent des Kirchenkreises Oderland-Spree und Vorsitzender des Oekumenischen Europa-Centrum Frankfurt (Oder).