Vom Brennholz zu wertvollen Helfern

Im Niger sorgen Bäume auf den Feldern für mehr Ernte

Ausgerechnet im trockenen Sahelstaat Niger ist die Aufforstung ein Erfolg: Statt Setzlinge zu pflanzen, wird Wurzelwerk gehegt. Für die Entwicklung dieser Methode wurde der Australier Tony Rinaudo mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.

Nairobi (epd). Trockene Blätter rascheln unter Hamoud Abdoulayes Füßen, sein bodenlanges, weißes Gewand flattert im kräftigen Wind. Der Bauer geht über sein Feld im Südwesten von Niger. Die Erdkruste ist dünn, hier und da wachsen Bäume und Büsche. «Ich kenne das genaue Alter aller Bäume auf meinem Feld, weil ich jeden einzelnen gesehen habe, als er aus dem Boden kam, und weil ich sie pflege», sagt Abdoulaye.

   Seit 2018 sieht der 67-Jährige in Bäumen nicht mehr nur mögliches Brennholz, sondern weltvolle Helfer auf dem Feld. Er sorgt dafür, dass sie auf seinem Feld neben der Hirse und den Kuhbohnen wachsen, die er vor allem anbaut. Die Not habe ihn zum Umdenken gezwungen, sagt der Familienvater. «Die Situation vorher hat mir und den anderen Bauern im Dorf große Angst gemacht», erinnert er sich. «Es gab keinen
Schatten mehr, an vielen Stellen unserer Felder kam nacktes Gestein durch, die Böden waren fast unfruchtbar geworden. Überall war Staub.» Und seine Ernte wurde immer schlechter.

   Dann seien «Leute von einem Entwicklungsprojekt» gekommen und hätten ihnen erklärt, welche Vorteile Bäume auf den Feldern haben. «Seitdem erleben wir, wie viel die Bäume verändern».

   Mitarbeiter der Organisation World Vision hatten ihnen gezeigt, wie sie Bäume auf vermeintlich unfruchtbaren Flächen aufziehen können, ohne sie anpflanzen zu müssen. «Es gibt immer wieder kleine Triebe, die aus dem Boden kommen, die pflege ich», erklärt Mahamoud Kader Goni, ein anderer Bauer. Er beschneide die Triebe immer wieder, «bis daraus ein großer Baum mit einem kräftigen Stamm geworden ist».

   Die Methode heißt in der gebräuchlichen englischen Abkürzung «FMNR» und meint eine von den Bauern selbst verwaltete natürliche Wiederbegrünung verarmter und entwaldeter Böden. Statt Bäume zu pflanzen, werden noch vorhandene, unterirdische Wurzeln gerodeter Bäume genutzt, die wieder austreiben. Möglich ist das, weil viele Bäume im harschen Klima des Sahel eine besondere Überlebensstrategie entwickelt haben: Ihr Wurzelwerk kann lange Zeit unter der Erde
überdauern und treibt wieder aus, wenn es ausreichend Wasser gibt.

   Entwickelt wurde die Methode von dem australischen Agrarwissenschaftler Tony Rinaudo. Der hatte 1981 in Niger ein kleines Projekt übernommen, in dessen Rahmen jährlich zwischen 4.000 und 6.000 Bäume gepflanzt wurden. «Die meisten davon starben ab», erinnert er sich. «Die Menschen waren nicht sehr interessiert, sie
wollten vor allem Geld verdienen und sahen die Bäume als Konkurrenz zu anderen Pflanzen auf ihren Feldern.» Die kleinen Sprösslinge wurden von Ziegen gefressen, vertrockneten in Dürrezeiten oder überlebten Stürme nicht. «Ich war kurz davor, aufzugeben.»

   Dann fuhr Rinaudo eines Tages mit einem Anhänger voller Setzlinge durch fast verödetes Land. Als er anhielt, um etwas Luft aus den Reifen zu lassen, damit sie nicht im Sand feststeckten, erregte ein kleiner Busch seine Aufmerksamkeit. «Ich ging hin und schaute ihn mir genauer an. Und als ich die Form des Blattes sah wurde mir sofort klar: Das ist kein Busch, das ist einer der wenigen verbliebenen Bäume hier. » Es war ein Baum mit dem lateinischen Namen Piliostigma reticulatum, der in der Region weit verbreiteter ist.

   In diesem Moment habe er verstanden, «dass ich nicht gegen die Sahara kämpfen muss, dass ich nicht Millionen von Dollar oder einen Superbaum brauche, den ich pflanzen kann und der resistent ist gegen Ziegen und Dürre und so weiter», erzählt Rinaudo. «Der eigentliche Kampf galt der Einstellung der Menschen zu Bäumen, dem Kampf gegen ihre zerstörerischen Praktiken.»

   Für seine Methode wurde Rinaudo 2018 mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Schon 2009 schrieben Fachleute in einer Studie für das Internationale Forschungsinstitut für Ernährungspolitik, die «Agrarlandschaften im Süden Nigers sind heute wesentlich baumreicher als noch vor 30 Jahren». Ihre Schlussfolgerung: «Diese Ergebnisse deuten auf eine Erfolgsgeschichte für Mensch und Umwelt hin, wie es sie sonst nirgendwo in Afrika gibt.»

   Nach Zahlen des geologischen Überwachungsinstituts der USA lag 1980 die durchschnittliche Baumdichte auf dem Ackerland bei schätzungsweise vier Bäumen pro Hektar. Satellitenbildern zufolge liegt sie heute bei über 40, und das auf mehr als sechs Millionen Hektar – der untersuchten Fläche, die nicht das gesamte Land umfasst. Laut der Regierung Nigers wurde sogar mindestens zehn Millionen Hektar wieder begrünt.

   Abdoulaye, der das Alter jedes Baumes auf seinem Feld kennt, spürt den Erfolg der Methode an seinem Ertrag: Heute bringt er vier bis fünfmal so viel Ernte ein, wie vor dem Beginn der Aufforstung auf seinem Feld.