Viele Menschen leiden trotz Endemie

Psychologen und Gesundheitswissenschaftler sehen bei belasteten Kindern und Jugendlichen dringenden Handlungsbedarf. Denkbar sind Resilienz-Trainings im Unterricht.

Viele Kinder und Jugendliche leiden unter Depressionen und Angststörungen (Symbolbild)
Viele Kinder und Jugendliche leiden unter Depressionen und Angststörungen (Symbolbild)Imago / shotshop

Mit dem Abklingen der Corona-Pandemie dürfen psychische Probleme vieler Menschen nach Worten von Fachleuten nicht aus dem Blick geraten. Belastung, Angst, Depressionen und Einsamkeit hätten einen „kleinen, jedoch bedeutsamen Anstieg“ verzeichnet, sagt der Marburger Psychologe Christoph Benke. „Bisher konnte eine komplette Erholung auf Vor-Corona-Niveau nicht beobachtet werden.“

So hätten im Jahr 2021 sogar noch mehr Menschen in Deutschland von Einsamkeit berichtet als im ersten Corona-Jahr 2020. Erste Daten deuteten zudem auf einen leichten Anstieg von Depressions- und Angstsymptomen zwischen 2021 und 2022 hin. Derzeit rückten mit der Klima- und Energiekrise „möglicherweise andere Sorgen und Ängste in den Vordergrund“, so Benke. Sie könnten die mentale Gesundheit weiter belasten.

Lange Wartezeiten

Er forderte, diese Entwicklung genau zu beobachten und mit entsprechenden Maßnahmen gegenzusteuern. Die Forschung müsse sich Fragen widmen wie der, welche Behandlungs- und Vorbeugungsangebote hilfreich seien und wie diese allen Menschen zugänglich gemacht werden könnten. Die Medien rief Benke auf, „die unzureichende Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen“ stärker zu berücksichtigen. Als Beispiele nannte er lange Wartezeiten auf ambulante Psychotherapie und einen Mangel an sogenannten Kassensitzen.

Der Dresdner Psychologe Hendrik Berth wies insbesondere auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hin, die sich seit Jahren verschlechtere. Schon vor der Pandemie sei jedes sechste Kind von einer Beeinträchtigung der Lebensqualität durch gesundheitliche Faktoren betroffen gewesen. Diese Zahl habe sich verdoppelt, vor allem durch Kontaktbeschränkungen und Schulschließungen.

Viele Kinder betroffen

Zwar habe sich die Belastung mit den Lockerungen der Maßnahmen wieder etwas verbessert. „Dennoch sind weiterhin viele Kinder von psychischen Problemen – wie etwa Ängsten, psychosomatischen Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen und Schlafproblemen – betroffen.“ Zudem schätzten Eltern die Gesundheit ihrer Kinder häufig besser ein, als sie tatsächlich sei.

Berth verwies auch auf Zahlen, nach denen mehr Jugendliche zur Zigarette greifen und sich eine suchtähnliche Nutzung des Internets verdoppelt habe. Es brauche Prävention, etwa in Form von „vorteilhaften Freizeitangeboten“ für Betroffene. Zudem müsse pädagogisches Personal besser geschult werden, um psychische Probleme frühzeitig zu erkennen.

Auch die Psychologin und Gesundheitswissenschaftlerin Ulrike Ravens-Sieberer sieht bei belasteten Kindern und Jugendlichen „dringenden Handlungsbedarf“. Denkbar seien Resilienztrainings im Unterricht. Zudem müssten sozialarbeiterische und schulpsychologische Dienste personell gut ausgestattet sein: „In jeder Schule sollte die Förderung der seelischen Gesundheit im Fokus stehen und Raum für soziales Lernen geschaffen werden.“ Auch dürften nicht Wochen oder Monate vorgehen, bis Kinder und Jugendliche einen Therapieplatz bekämen.