Viele digitale Hürden für Menschen mit Behinderung

Drei Viertel der Online-Angebote sind laut einer Studie nicht barrierefrei. Ein Gesetz soll dies ab dem kommenden Jahr ändern – doch Betroffene sind skeptisch.

Ein Konzertticket kaufen? Im Internet Sitzplatz anklicken, Bezahloption wählen, fertig. Für Menschen mit Behinderung läuft es vielfach nicht so einfach. Der Kaufvorgang dauert nicht wenige Minuten, sondern manchmal mehrere Tage.

Dieser Umstand ärgert Torsten Schmidt, Vater einer Tochter mit Behinderung aus Zornheim in Rheinhessen. Sie sitzt in einem Elektro-Rollstuhl und braucht spezielle Platzkarten. Ein direkter Kauf in gängigen Online-Shops: Fehlanzeige. „Ich muss mir auf der Internetseite meine Informationen zusammensuchen. Wenn ich dann die Telefonnummer gefunden habe, ist sie meist überlastet“, berichtet Schmidt.

Heute heißt es bei einer Hotline: Wartezeit 24 Minuten. Oft bekommt er dann zu hören, dass er sich an den Veranstalter wenden müsse – und ein neuer Telefonmarathon beginnt. Testhalber ruft Schmidt die Seite des Fußballvereins Mainz 05 auf: das gleiche Problem. Nach mehreren Klicks findet er die E-Mail-Adresse des Behindertenbeauftragten, bei dem er Eintrittskarten bestellen kann.

Schmidt fordert, dass Anbieter dazu verpflichtet werden müssten, einen einheitlichen Button auf ihrer Internetseite anzubringen, etwa einen weißen Rollstuhl auf blauen Grund. Dort sollten alle wichtigen Informationen für Menschen mit Behinderung stehen: „Das würde uns und vielen anderen das Leben sehr erleichtern.“

Tatsächlich müssen Unternehmen in Deutschland etwas tun, denn im Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Damit setzt Deutschland eine EU-Richtlinie um. Sie verpflichtet Unternehmen im Onlinehandel oder bei Telekommunikationsdienstleistungen zur Barrierefreiheit. Dazu gehören Telefon- und Messengerdienste, Apps, Websites für Reiseinformationen und elektronische Fahrkarten sowie Online-Banking.

Es gibt Nachholbedarf, was die Barrierefreiheit von Internetseiten angeht: Die Aktion Mensch hat gemeinsam mit Google in einer Studie ermittelt, dass 75 Prozent der untersuchten Shops nicht barrierefrei waren. So können Menschen mit einer Sehbehinderung Texte oder Formularfelder schlecht erkennen, wenn sie sich nur gering vom Hintergrund abheben. Gehörlose und schwerhörige Menschen können Videos nicht nutzen, wenn sie keine Untertitel enthalten.

Einfache oder Leichte Sprache können helfen, Inhalte besser zu verstehen. Wichtig ist demnach auch, ob eine Seite per Tastatur statt Maus bedienbar und die Textgröße verstellbar ist. Die Sprecherin der Aktion Mensch, Christina Marx, erklärt: „Eine barrierefreie Internetseite ist für alle benutzerfreundlicher. Ob das Gesetz wirkt, hängt davon ab, ob und wie Sanktionen durchgesetzt werden.“

Chris Schmidt hat mit Freunden die Firma Eye-Able gegründet: Sie entwickeln Software-Lösungen für Barrierefreiheit, testen Internetseiten und bieten Schulungen an. Schmidt berichtet von einer Auftragszunahme seit einiger Zeit – und führt diese auf das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz zurück. Zu ihren Kunden gehören Red Bull, der Münchner Flughafen oder das Bistum Mainz.

„Mit dem Gesetz haben die Unternehmen einen gewissen Druck. Viele sehen die Herausforderung aber eher als Strafe. Leider handeln wenige aus Überzeugung“, sagt Schmidt. Aber: „Barrierefreie Homepages funktionieren nur gut, wenn sie mit Menschen mit Behinderung zusammen entwickelt wurden.“

Einen Button, der direkt zu den Rollstuhlkarten führt, hält er für umsetzbar. Das Unternehmen entwickelt derzeit technische Möglichkeiten dafür. „Erst bei der Umsetzung nach 2025 wird sich zeigen, was das Gesetz wirklich bringt“, meint der Software-Experte.

Torsten Schmidt telefoniert derweil weiter. Immer wieder ruft er bei Konzert- und Reiseveranstaltern an und macht auf die Probleme von Menschen mit Behinderung aufmerksam. Zudem hat er eine Petition für mehr Barrierefreiheit im Internet gestartet. Er ist skeptisch, ob das Gesetz eine große Veränderung bringen wird. Kleine Fortschritte freuen den Rheinhessen dagegen: „Endlich gibt es eine Bandansage, bei welchen Konzerten es keine Rollstuhltickets gibt. Da sparen wir uns die Warteschleife. Ganz langsam bewegt sich etwas.“