Versteckte Wohnungslosigkeit wird zum Problem für junge Menschen
Mit dem Rucksack von einem Bekannten zum nächsten – wo eben gerade ein Sofa frei ist. Für viele junge Leute sieht Wohnungslosigkeit so aus. Für Außenstehende ist das kaum zu entdecken.
Junge Menschen, die keine eigene Wohnung haben, sind auch dann in Gefahr, wenn sie nicht auf der Straße leben müssen. Das geht aus dem Jahresbericht zur Lebenslage wohnungsloser und von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen hervor, den die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe am Montag in Berlin vorstellte. Anlass ist der Tag der wohnungslosen Menschen am 11. September.
“Jeder zweite wohnungslose junge Mensch kommt bei mehr oder weniger guten Freund:innen oder Bekannten unter”, sagte Fachreferentin für Statistik und Dokumentation bei der Bundesarbeitsgemeinschaft, Sarah Lotties. “Was zunächst harmlos klingt, ist in der Realität oft geprägt von provisorischen, manchmal sehr kurzfristigen Behelfslösungen und einem Leben in Unsicherheit.” Denn woanders unterzukommen bedeute auch, tagtäglich auf das Wohlwollen der Gastgeber angewiesen zu sein.
Lotties ergänzte: “Nicht selten ergeben sich daraus gefährliche Abhängigkeitsverhältnisse, beispielsweise wenn die Unterkunft nur im Gegenzug für sexuelle Gefälligkeiten bereitgestellt wird.” Die Not dieser wohnungslosen jungen Menschen sei nicht auf den Straßen sichtbar, aber genauso schwerwiegend.
Fachreferent Martin Kositza ergänzte, gerade für junge Menschen sei die Situation dramatisch, da sie sich in einer entscheidenden Phase ihrer persönlichen Entwicklung befinden. “Ohne stabile Wohnverhältnisse haben sie deutlich schlechtere Chancen auf Bildung, Teilhabe oder beruflichen Erfolg.” Das Resultat sei oft Armut und soziale Ausgrenzung.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft forderte jugendgerechte Beratungsangebote, die sowohl vor Ort als auch digital leicht zugänglich und auf die Bedürfnisse der Zielgruppe zugeschnitten sind. Grundlegend für eine Besserung im Bereich der Wohnungsnot sind aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft mehr bezahlbarer Wohnraum und kommunale Gesamtkonzepte, die Zuständigkeiten und Finanzierung regeln.
Als alarmierend bezeichnete der Zusammenschluss die Entwicklungen im Bereich von durch Wohnungslosigkeit Betroffenen mit Kindern. Die Zahlen aus dem Jahr 2022 zeigen, dass mehr als jeder dritte Familie, die die Hilfeeinrichtungen und -dienste der freien Träger aufsuchte, ohne eigene Wohnung lebte. Im Jahr 2021 sei dieser Wert allerdings erstmals seit sechs Jahren wieder unter die 40 Prozent-Marke gesunken – zuvor schwankte er zwischen 41 und 47 Prozent. Der Bericht betont, erst die Daten der kommenden Jahre könnten Aufschluss darüber geben, ob es sich hier um einen anhaltenden Rückgang von Familienwohnungslosigkeit handeln könnte.
Die Autoren des Berichts befürchten jedoch, dass dieser rückläufige Trend nicht von Dauer ist. “Während zu Beginn der Pandemie vielerorts Zwangsräumungen zumindest in Haushalten mit Kindern zeitweilig ausgesetzt wurden, ist nun davon auszugehen, dass diese Räumungen bereits 2021 wieder nachgeholt wurden. Daher ist ein weiterer Anstieg akut wohnungsloser Familien in den kommenden Jahren zu befürchten.”
Während der Anteil nicht-deutscher Staatsangehöriger in den Jahren zuvor angestiegen war, stabilisierte er sich seit 2018 bei einem Anteil von 30 bis 34 Prozent der Klientinnen und Klienten der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Unter den akut wohnungslosen Menschen beträgt der Anteil nicht-deutscher Staatsangehöriger demnach 32 Prozent. Der Anteil von Klientinnen und Klienten aus Nicht-EU-Staaten stieg zuletzt um rund 4 Prozent auf 21,2, Prozent an. Das führt die Arbeitsgemeinschaft auf den russischen Überfall auf die Ukraine zurück.