Christenverfolgung lässt weltweit kaum nach

Sabine Dreßler, Oberkirchenrätin für Menschenrechte der Evangelischen Kirche in Deutschland, gibt Auskunft über die Lage verfolgter Christen weltweit. Unterdrückung und Verfolgung hören nicht auf.

Nicht überall können Christinnen und Christen im öffentlichen Raum frei in der Bibel lesen.
Nicht überall können Christinnen und Christen im öffentlichen Raum frei in der Bibel lesen.Unsplash/Aaron Burden

Wie viele Christen insgesamt werden weltweit verfolgt?
Sabine Dreßler: Das lässt sich pauschal nicht sagen; es gibt für viele Länder keine genauen Zahlen dazu, wie viele Christinnen und Christen dort überhaupt leben. Dabei können die staatlicherseits angegebenen Zahlen auch noch abweichen von dem, was die Kirchen nennen. Auch die Quellenlage zur Einschränkung oder Verletzung von Religionsfreiheit ist uneinheitlich. Ebenso das, was wir unter Verfolgung oder Bedrängung verstehen: Wo hört Anfeindung auf und wo fängt Verfolgung an? Und es gibt oft mehrere Gründe gleichzeitig für Angriffe auf Menschen. Es geschieht also nicht nur, weil jemand Christ, sondern weil er oder sie einer Minderheit, einer bestimmten Ethnie angehört, sich für Bürgerrechte starkmacht oder weil sie Frau ist.

In welchen Ländern ist die Zahl besonders hoch?
Ich würde eher fragen, wo es Einschränkungen bis hin zu schweren Verletzungen des Rechts auf Religionsfreiheit gibt. In China beispielsweise – offiziell ein atheistischer Staat – wird es für Christen und alle Religionsgemeinschaften immer enger – und am schlimmsten trifft es Muslime. In Indien, der größten Demokratie der Welt, wird Religionsfreiheit von der Verfassung garantiert, aber einzelne Bundesstaaten verabschieden Gesetze, die Christen und Muslime mehr und mehr unterdrücken in der Ausübung ihres Glaubens. Dahinter steckt die Idee von sehr einflussreichen hindu­nationalistischen Gruppen, Indien zu einem Land zu machen, in dem der Hinduismus Gesellschaft und Politik bestimmt.

Sabine Dreßler vor einer Bücherwand

Welche Konflikte liegen der Verfolgung zugrunde?
Christen werden beobachtet und in ihren Rechten eingeschränkt, werden angefeindet, bedrängt oder verfolgt, weil sie Christen sind – zum Beispiel im Iran. Dort sind zwar historische Kirchen erlaubt, aber wenn eine Muslima zum Christentum konvertiert, dann setzt sie sich größter Gefahr aus. Deshalb treffen die sogenannten „neuen“ Christen im Iran sich in Hauskirchen an geheimen Orten. Aber Christen werden auch verfolgt, weil sie die Menschenrechte verteidigen, wie der Bischof der katholischen Kirche, der in Nicaragua gerade zu 26 Jahren Haft verurteilt worden ist, weil er das Regime kritisiert.
In Äthiopien besteht Verfolgung darin, dass in dem verheerenden Krieg in der Region Tigray Kirchen und Klöster gezielt angegriffen werden, um auf diese Weise ethnische Identitäten und Gemeinschaften zu zerstören – und dabei stehen auf beiden Seiten der Kämpfe Christen.
Es kann also verschiedene Ursachen für Verfolgung geben, unterschiedliche Akteure, die sie ausüben, als auch ganz verschiedene Ausprägungen der Verfolgung.

Wie können Einzelne oder Gemeinden den Verfolgten bei­stehen?
Wir beten für die Opfer und wir können sie über unsere Netzwerke konkret unterstützen. Wir informieren und machen öffentlich, wo Menschen aufgrund ihres Glaubens Benachteiligungen erfahren oder in direkte Gefahr geraten.
Wir können für die, die stummgemacht werden, sprechen und ihre Rechte verteidigen. Wir verbinden uns dazu mit Partnerkirchen und Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit, mit Vertreterinnen und Vertretern in Politik und Gesellschaft. Wir tun dies, weil es in besonderer Weise Aufgabe der Kirche ist, Anwältin der Schwachen zu sein und die gottgeschenkte Würde jedes einzelnen Menschen zu verteidigen.