Verkehrte Welt

Überall auf der Welt ist das so. Bei Menschen und bei Tieren: Kinder lernen von ihren Eltern, die Jüngeren von den Älteren. Ein Naturgesetz sozusagen.
Dieses Naturgesetz aber ist heute mindestens teilweise außer Kraft gesetzt. Schuld daran ist die Digitalisierung.
Jüngstes Beispiel: ein Kollege. Nicht nur, dass er sein erstes Smartphone von seinem Sohn geerbt hat (was an sich schon ein Widersinn ist). Derselbe Sohn hat ihn auch bei den ersten Gehversuchen mit dem Gerät begleitet. Staunend entdeckt der Kollege seither fast täglich neue Finessen und Funktionen und immer heißt es dann: Da muss ich am Wochenende meinen Sohn fragen. Immerhin: Kleine Filmchen kann der ehemalige Super-8-Filmer damit schon produzieren.
 
Wie dem Kollegen ergeht es gefühlt sicher 90 Prozent in der Altersgruppe „Ü50“. Auch mir übrigens. Bei mir war es die Tochter, die mir den Weg in die Smartphone-Ära geebnet hat. Andere finden Unterstützung in der Kirchengemeinde, denn – ja! – das gibt es hier und da: Junge Leute helfen älteren bei den ersten Schritten ins digitale Zeitalter. Welch wunderbares neues Miteinander der Generationen!
Und was mich betrifft: Ich würde mich zwar nicht als Smartphone-Virtuosin bezeichnen. Aber ich gewinne zunehmend Spaß daran,die grenzenlosen Möglichkeiten, die dieses Gerät bietet, zu erkunden. Das führt auch schon mal so weit, dass ich mir den Zorn meiner Tochter zuziehe. Ich solle endlich das blöde Ding zur Seite legen, schimpft sie. Ich benähme mich ja wie eine 14-Jährige. Hat sie da nicht eigentlich die Rollen vertauscht?
Nun ja, damit muss ich wohl leben. So ist es eben im digitalen Zeitalter. Verkehrte Welt.