Verhaltensforschung: Wissenschaftler beschäftigt sich mit der „Schwarmtheorie“

Derzeit verfolgen viele Zuschauer die ZDF-Serie „Der Schwarm“. Wissenschaftlich erforscht ein Konstanzer Professor die „Schwarmtheorie“ – und beobachtet unter anderem Heuschrecken-Verbände.

Ein Bauer hält im Dorf Kuranda in Indien Heuschrecken hoch, die von Beamten des Landwirtschaftsministeriums mit Pestiziden getötet wurden (Archivbild)
Ein Bauer hält im Dorf Kuranda in Indien Heuschrecken hoch, die von Beamten des Landwirtschaftsministeriums mit Pestiziden getötet wurden (Archivbild)Imago / Hindustan Times

Wer Iain Couzin im Gebäude ZT der Universität Konstanz sucht, kann ihn leicht verfehlen. Der Verhaltensforscher gibt sich leger: Die Tür zu seinem geschwungenen Vollglas-Büro steht offen, am Schreibtisch sitzt ein freundlicher Herr in kurzen Hosen und T-Shirt mit Regenbogenemblem. Der 48-Jährige macht die Begrüßung kurz. Vor ihm steht ein Latte Macchiato.

Auf den gebürtigen Briten ist die Universität stolz. Der Direktor des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie und sein Team widmen sich der Erforschung des kollektiven Verhaltens. Er und sein multinationales Team haben das höchste Ziel von Forschenden erreicht: Sie erzielen Aufmerksamkeit. Dabei wird im akademischen Bereich nicht nach Followern gezählt, sondern nach dem Zitiertwerden in anderen fachlichen Veröffentlichungen. In diesem speziellen Index liegt Couzin ganz vorne: Zum fünften Mal in Folge platzierten ihn seine Kollegen in die Liste der „Global Highly Cited Researchers“.

Verhaltensforschung: Brite untersucht Schwarmverhalten von Tieren

Die Universität am Bodensee hat mit seiner Berufung vor sieben Jahren auf den Richtigen gesetzt. Der Brite sollte die Schwarmforschung vorantreiben, die spätestens seit Frank Schätzings Roman „Der Schwarm“ große Aufmerksamkeit erzielt. In Konstanz war die Vogelforschung immer stark ausgeprägt; mit der Verhaltensforschung wurde sie in eine neue Richtung gelenkt und ausgeweitet. Stattliche Fördergelder stehen seit der Exzellenzinitiative bereit, ein eigener Exzellenzcluster wurde für die Forscherinnen und Forscher um Iain Couzin eingerichtet.

Der Konstanzer Professor Iain Couzin arbeitet wissenschaftlich zur "Schwarmtheorie"
Der Konstanzer Professor Iain Couzin arbeitet wissenschaftlich zur "Schwarmtheorie"epd-bild / Uli Fricker

Und das war ein Grund, weshalb sich der Brite für Konstanz entschied. Er lehrte zuvor bereits in Princeton, er hatte in Oxford geforscht. Von den Bedingungen in Konstanz schwärmt er. Grundlagenforschung in seinem Bereich sei in den USA so nicht möglich, erläutert er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Konstanz ist das Princeton der Verhaltensforschung.“ Er und seine aus Israel stammende Frau fühlen sich wohl hier, ihr Nachwuchs besucht den Uni-eigenen Kindergarten.

Was beeinflusst das Flugverhalten von Insekten?

Arbeit gibt es genug: Derzeit wird ein Versuch mit 10.000 Heuschrecken vorbereitet. Was beeinflusst das Flugverhalten der Insekten, denen ganze Felder zum Opfer fallen? Ganz fern am Horizont steht der Wunsch, diese Tiere umlenken zu können. Für Großversuche dieser Art wurde ein hoher Techniksaal in das Uni-Gebäude integriert, der Hangar. Die Mitarbeiter sind längst dabei, die Monitore vorzubereiten, die den Flug der Heuschrecken dann dokumentieren werden.

Schwärmen erhöht die Überlebenschance bei Tieren

Vor dem Konstanzer Großversuch fliegt Couzin selbst jedoch noch auf die Malediven, um dort ein Projekt seiner Kollegen im Indischen Ozean zu beobachten. Dort siedeln stattliche Hai-Familien. Diese gehen regelmäßig auf die Jagd, indem sie Schwärme von Fischen vor sich hertreiben. Dabei treiben sie die Schwärme auseinander, was aus der Vogelperspektive merkwürdige Muster erkennen lässt. In der Gruppe ist die Überlebenschance der Beutetiere größer als alleine, sagt Couzin. Das gelte für alle Verbände von Tieren, egal ob Vogel oder Fisch.

Verhaltensforschung erstreckt sich auf alle Lebewesen, auch auf Menschen. Couzin vergleicht viele Aktionen der eigenen Spezies mit dem Begriff der „Schwarmdummheit“. Es erstaunt ihn immer wieder aufs Neue, dass sich falsche Nachrichten schneller verbreiten als zutreffende Informationen. Dennoch glaubt er an den Fortschritt. Er zeigt auf sein T-Shirt mit dem Emblem der LGBTQ-Bewegung. „Das ist eine der größten Errungenschaften der letzten Jahrzehnte“, ist der britische Professor überzeugt.