„Vergessene Krise“ im Sahel eine der schlimmsten weltweit

Im Sahel sind Millionen Menschen auf der Flucht, davon allein 1,8 Millionen Kinder. Hauptgrund sind Anschläge und Angriffe islamistischer Terrorgruppen. Die Militärregierungen erscheinen hilflos.

Die Zahl der Menschen, die im Sahel auf Hilfe angewiesen sind, steigt weiter. Allein in Burkina Faso benötigten 2023 rund 4,7 Millionen Personen Unterstützung. In Mali waren es 8,8 Millionen und somit 17 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Im Niger galten während der Trockenzeit von Juni bis August 3,3 Millionen Menschen als akut von Ernährungsunsicherheit betroffen. Die Zahlen veröffentlichte das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) Anfang April.

Nach Einschätzung des Hilfswerks Unicef sind Kinder besonders betroffen. Knapp zehn Millionen Mädchen und Jungen in der Region benötigten dringend humanitäre Hilfe. 1,8 Millionen sind Flüchtlinge oder Binnenvertriebene. Damit hat sich die Zahl seit 2019 fast versechsfacht. Damals zählten UN-Organisationen noch 321.000 Minderjährige. Neben Zugang zu Nahrungsmitteln, einer sicheren Unterkunft und medizinischer Versorgung ist ihre Bildung gefährdet. Mittlerweile sind in den drei Ländern mehr als 8.000 Schulen geschlossen.

Die weitgehend vergessene Krise in der zentralen Sahelzone sei eine der schlimmsten humanitären Notlagen der Welt, sagte Vishna Shah von der Kinderhilfsorganisation Save the Children unlängst. „Durch die Tatsache, dass es sich um eine Kinderkrise handelt, die eine der jüngsten Bevölkerungsgruppen der Welt trifft, wird sie noch verheerender.“

Die Ursachen für die Krise in den drei Ländern, in denen mehr als 69 Millionen Menschen leben, sind vielfältig. Hauptgrund bleibt aber die Ausbreitung von Terrorgruppen, die Kontakte zum „Islamischen Staat“ und Al-Kaida haben; ihre Präsenz wurde in den vergangenen zwölf Jahren nie wirksam bekämpft. Nach Informationen von ACLED – die nichtstaatliche Organisation mit Sitz in den USA sammelt Daten von Konflikten weltweit – verübte allein die islamistische „Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime“ (JNIM) 2023 im Sahel rund 2.200 Anschläge, Überfälle und Angriffe; rund 200 mehr als im Vorjahr.

Die 2017 gegründete Bewegung, die in den von ihr besetzten Dörfern einen radikalen Islam erzwingt, breitet sich weiter nach Süden aus, etwa nach Benin. Besonders betroffen sind entlegene Dörfer ohne Präsenz staatlicher Sicherheitskräfte. Im Dorf Essakane im Norden Burkina Fasos wurden Ende Februar bei dem Angriff auf die katholische Kirche 15 Menschen ermordet. Die Terroristen greifen aber auch Moscheen, Polizeistationen und Kasernen an.

Entscheidend verändert hat die Terrorismusbekämpfung nach Einschätzung von ACLED die Tatsache, dass in allen drei Staaten Militärs an der Macht sind. Sie kritisieren den globalen Norden und vor allem die einstige Kolonialmacht Frankreich scharf und werfen ihr Einflussnahme vor. In Mali wurde im Dezember die Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen für den Norden des Landes (Minusma) beendet; sie hatte laut Kritikern kaum Erfolge gebracht.

Dafür kooperiert die Junta offen mit der russischen privaten Sicherheitsfirma Wagner. Erst Ende März warf die Organisation Human Rights Watch Wagner und den malischen Sicherheitskräften Hinrichtungen von Zivilisten vor. Seit Jahren kritisiert sie wie auch die Vereinten Nationen, dass derartige Vorfälle nicht aufgearbeitet werden. Der UN-Menschenrechtsrat hat allerdings am Donnerstag entschieden, das Mandat des unabhängigen Experten für die Menschenrechtslage in Mali zu erneuern.

Niger hatte im März angekündigt, ein langjähriges Sicherheitsabkommen mit den USA zu kündigen. Im Rahmen der Kooperation war beispielsweise der Drohnen-Stützpunkt Air Base 201 bei Agadez entstanden.

Doch auch regionalen Kooperationen haben die drei Länder eine Absage erteilt, als sie Ende Januar ankündigten, dass sie mit sofortiger Wirkung aus der Regionalorganisation ECOWAS austreten. Diese entstand vor knapp 50 Jahren, um Wirtschaftsbeziehungen zwischen westafrikanischen Staaten zu erleichtern. Es gibt allerdings auch Gelder und Unterstützung im Kampf gegen den Terrorismus.

Burkina Faso setzt indes auf die Rekrutierung von Zivilisten, die teilweise gegen ihren Willen eingezogen werden. Erfolgreich ist die Strategie nicht. Verschiedenen Medienberichten zufolge wurden an Ostern im Ort Tawori im Osten von Burkina Faso mindestens 73 Personen ermordet. Offiziell bestätigt ist diese Zahl bislang aber nicht.