Verfassungsschutz: Gefahrenpotenzial für Juden stark gestiegen

Angesichts des sich immer häufiger zeigenden Judenhasses in Deutschland schlagen die Sicherheitsbehörden Alarm. Der Chef des Verfassungsschutzes mahnt: “Nie wieder ist jetzt” müsse für alle gelten.

Juden in Deutschland sehen sich nach Einschätzung des Verfassungsschutzes immer größeren Gefahren gegenüber. Auch in der aktuellen politischen Weltlage sei “das Erstarken des Antisemitismus ein eindeutiger Krisen-Seismograph”, sagte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, am Montag anlässlich der Veröffentlichung eines neuen Lagebilds zu Hass auf Juden. Dies sei ein trauriger Befund.

Die insbesondere seit dem Hamas-Angriff auf Israel vom 7. Oktober 2023 rasant gestiegene Zahl an gegen Juden gerichteten Straf- und Gewalttaten in Deutschland sollte alle beunruhigen, so Haldenwang. “Das Gefahrenpotenzial für Menschen und Einrichtungen jüdischen Glaubens in Deutschland ist drastisch gestiegen.” Das Bundeskriminalamt hatte für 2023 mit knapp 5.200 judenfeindlichen Straftaten einen Höchststand und fast doppelt so viele wie im Vorjahr erfasst. Mehr als die Hälfte der Taten wurden nach dem 7. Oktober verübt.

Aus Sicht des Verfassungsschutzes geht der Kampf gegen Antisemitismus alle an. “Dies ist nicht nur die Aufgabe von Sicherheitsbehörden, sondern dies ist eine Aufgabe, die die gesamte Gesellschaft betrifft”, sagte Haldenwang. Den zuletzt oft zitierten Satz “Nie wieder ist jetzt” sollten alle gesellschaftlichen Bereiche verinnerlichen – ob in Schulen, Universitäten, Vereinen oder am Arbeitsplatz. “Wir alle müssen gegen Antisemitismus aufstehen und den entsprechenden Narrativen entschieden entgegentreten”, mahnte der Behördenchef.

Der Verfassungsschutz hatte 2020 erstmals ein Lagebild zu Antisemitismus veröffentlicht. In der aktuellen Version warnt die Behörde davor, dass die Gefahr für Menschen und Einrichtungen jüdischen Glaubens in Deutschland vor allem durch die Corona-Pandemie und die Eskalation des Nahostkonflikts im Oktober 2023 drastisch gestiegen sei.

In der Pandemie wurden demnach antisemitisch grundierte Verschwörungserzählungen verbreitet. Neu sei dabei gewesen, dass diese auf einer relativ breiten Basis und nicht nur unter Extremisten verfingen. Seit Ausbruch des Gaza-Krieges und bei den damit verbundenen Demonstrationen auch in Deutschland würden sich auch andere als die bisher üblichen Extremisten weitaus offener antisemitisch äußern. “Extremisten aller Art instrumentalisieren den Krieg in Nahost und nutzen den Antisemitismus für ihre Agenda”, heißt es. Er sei über ideologische Grenzen hinweg häufig ein verbindendes Element.

Der Verfassungsschutz warnt davor, dass antisemitische Bilder Menschen auch zu Gewalttaten antreiben könnten. Der digitale Raum spiele für die Verbreitung judenfeindlicher Vorstellungen eine immer größere Rolle – inzwischen beispielsweise auch über von Künstlicher Intelligenz generierte Bilder. Diese seien vor allem in der rechtsextremen Szene verbreitet. Auch subtile Darstellungen über Codes und Anspielungen nähmen zu.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) rief erneut dazu auf, die Spirale zu durchbrechen, “dass Eskalationen im Nahen Osten zu noch mehr widerwärtigem Judenhass bei uns führen”. Judenfeindliche Straftaten müssten mit aller rechtsstaatlichen Härte verfolgt werden. Man beobachte weiterhin eine große Zahl an von Rechtsextremisten verübten antisemitischen Straftaten, aber auch einen drastisch zunehmenden islamistisch geprägten Antisemitismus. Auch laut dem Verfassungsschutz-Bericht geht die größte Gefahr für Juden aber weiterhin von Rechtsextremisten aus.