Verein „Schatten & Licht“: Depressionen nach Geburt sind Tabuthema

Wochenbett-Depressionen sind häufiger als gedacht, wie das Beispiel von Ellen Radtke von „anders amen“ zeigt. Selbsthilfegruppen können helfen, sagt Sabine Surholt vom Verein „Schatten & Licht“.

Die Symptome einer Wochenbett-Depression sind etwa Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und Schlafstörungen
Die Symptome einer Wochenbett-Depression sind etwa Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und SchlafstörungenImago / Shotshop

Auf Ihrer Internetseite heißt es: Weitaus mehr Frauen, als gemeinhin angenommen, stürzen rund um die Geburt ihres Kindes in eine seelische Krise. Was sind die Gründe solcher Depressionen?
Sabine Surholt:
Auf körperlicher Ebene können Schlafmangel, Hormonumstellung, Stoffwechselstörungen oder Nährstoffmangel Mit-Auslöser sein. Entscheidend ist aber meist der Verlauf von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Häufige Risikofaktoren sind dabei: vorhergehende Fehlgeburt, langes Warten auf ein Wunschkind, Komplikationen in der Schwangerschaft oder bei der Geburt, Gewalt unter der Geburt oder eine anderweitig traumatisch erlebte Entbindung. Auch die Verfassung des Kindes spielt eine Rolle. Eine Früh- oder gar Totgeburt, ein Schreibaby, Stillprobleme oder ungewolltes Abstillen belasten die Mutter enorm.

Nicht vergessen sollte man, dass die Geburt eines Kindes eine gewaltige Umstellung für die Eltern bedeutet, die nicht nur physisch, sondern auch psychisch bewältigt werden muss. Mitunter kommen noch andere belastende Umstände dazu wie Tod oder Trennung von einem geliebten Menschen, Ortswechsel, finanzielle oder familiäre Probleme oder Probleme in der Partnerschaft. Auch können traumatische Erlebnisse in der Kindheit wie früher Verlust der Eltern, Gewalterfahrung, Missbrauch oder das eigene schwierige Geburtserlebnis durch die Schwangerschaft und Geburt des eigenen Kindes reaktiviert werden. Daher ist das Wochenbett eine hochsensible Zeit der Umstellung, in der die Mutter einen geschützten Rahmen benötigt.

Ellen Radtke von „anders amen“ ist mit dem Thema an die Öffentlichkeit gegangen. Sollten das mehr Frauen tun?
Es wäre natürlich gut, das Thema durch mehr Öffentlichkeit aus der Tabuzone zu holen. Unsere Selbsthilfe-Organisation tut das ja auch nach Kräften. Aber viele Mütter versuchen dem in der Öffentlichkeit, den Medien und der Werbung verbreiteten Bild der glücklichen Mutter zu entsprechen und haben daher schon Schwierigkeiten, sich selbst die Krankheit einzugestehen und sich Hilfe zu holen. Dann damit auch noch an die Öffentlichkeit zu gehen, fällt noch schwerer. Und meist reichen einfach die psychischen Ressourcen dazu nicht aus, weil die Mütter schon jeden Tag um ihr Überstehen und Überleben kämpfen müssen. Außerdem sind psychische Erkrankungen allgemein ein größeres Tabuthema – vor allem in Deutschland. Es fällt daher leichter z. B. über eine Krebs- als über eine psychische Erkrankung zu sprechen.

 

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Was raten Sie Betroffenen?
Sie sollten sich umgehend Hilfe holen. Bei leichteren Depressionen können schon psychologische Gespräche an Schwangerschafts- oder psychosozialen Beratungsstellen helfen. Der Facharzt (Psychiater) kann mit – auch stillverträglichen – Medikamenten unterstützen und eine Psychotherapie die Ursachen aufarbeiten. Unsere bundesweite Selbsthilfe-Organisation Schatten & Licht e.V. bietet kostenfrei Infomaterial, Telefonberatung, (Online-)Selbsthilfegruppen, Fachleutevermittlung, Informationen zu speziellen Mutter-Kind-Einrichtungen an psychiatrischen Kliniken und vieles mehr. Je schneller die Mutter Hilfe bekommt, umso schneller wird sie ihr Leben mit ihrem Baby wieder genießen können.