Verbaut, Verschimmelt und verstimmt

Der einzigartigen Barockorgel im niedersächsischen Otterndorf geht es schlecht. Experten aus Ostfriesland bauen das Instrument jetzt ab – Pfeife für Pfeife. Bis die Orgel wieder erklingt, gibt es ungewöhnlichen Ersatz.

Mit viel Fingerspitzengefühl vermisst ein Experte die kleinen Pfeifen
Mit viel Fingerspitzengefühl vermisst ein Experte die kleinen PfeifenJens Schulze / epd

Otterndorf/Leer. Normalerweise steht sie wie ein funkelnder Edelstein auf der Empore von St. Severi, schwebt gefühlt hoch oben im Kirchraum. Doch nun ragt vor der prächtigen Gloger-Orgel mit ihrem goldfarbenen Schnitzwerk ein Gerüst auf. Nach und nach wird das einzigartige historische Instrument abgebaut: zuerst die gewaltigen Prospekt-Pfeifen, dann das Innenleben, schließlich das Gehäuse. Tausende Einzelteile werden seit heute in die Werkstatt des ostfriesischen Orgelbaumeisters Hendrik Ahrend nach Leer geschafft – der Auftakt einer spektakulären Rettungsaktion.

Die ist auch dringend nötig, denn der Zustand des denkmalgeschützten Bauwerks ist besorgniserregend. „Mal bleiben Töne hängen oder lassen sich überhaupt nicht spielen, viele sind dauerhaft und hörbar verstimmt“, sagt Organist und Kreiskantor Kai Rudl. Die barocke Klangvielfalt, die mit 46 Registern und 2.676 Pfeifen möglich wäre – Geschichte. Für die Rettung sind rund 1,8 Millionen Euro veranschlagt, das derzeit größte restauratorische Orgelprojekt der Landeskirche Hannovers.

Fast 300 Jahre alt

Unsachgemäße Umbauten, Schimmel und Rost haben dem klingenden Kulturdenkmal, das neben Bauten in Stralsund, Hamburg, Stade und Norden zu den fünf großen Denkmalsorgeln in Norddeutschland zählt, mächtig zugesetzt. Dabei ist das imposante Instrument in der weiten Saalkirche bereits fast 300 Jahre alt.

Jede Pfeife bauen die Arbeiter sorgfältig aus der Orgel
Jede Pfeife bauen die Arbeiter sorgfältig aus der OrgelJens Schulze / epd

1741/42 wurde es von Dietrich Christoph Gloger errichtet. Der Baumeister verwendete dabei auch gut erhaltenes Pfeifenmaterial aus der Renaissance – ein seltener Schatz von hohem Wert, der dem Instrument 2020 den Titel „Orgel des Jahres“ der bundesweiten „Stiftung Orgelklang“ einbrachte.

Die größte Barockorgel zwischen Elbe und Weser war für die Otterndorfer einst eine Visitenkarte ihres Wohlstandes. Dass sich die Gemeinde überhaupt eine solche Kirche, auch als „Bauerndom“ bezeichnet, und ein derartiges Instrument leisten konnte, verdankt sie nicht zuletzt dem fruchtbaren Marschboden der Region. Die landwirtschaftlichen Erträge rund um Otterndorf waren doppelt so hoch wie anderswo im Land.

Sie soll klingen wie 1742

Jahr für Jahr kommen Orgeltouristen aus der ganzen Welt in das Marschland, das weltweit für seine Orgelkultur bekannt ist. Musiker aus Europa und Übersee konzertieren und arbeiten hier, denn in vielen alten Dorfkirchen der Region stehen unschätzbar wertvolle Orgeln. Mit kirchlichen Mitteln, verschiedenen Stiftungs- und Fördergeldern und über viele Jahre gesammelte Spenden soll Orgelbaumeister Ahrend das Otterndorfer Instrument nun so rekonstruieren, dass am Ende der einst brillante norddeutsch-klare Klang wieder zu hören ist. „Unser Ziel ist der Zustand von 1742“, erläutert Ahrend.

Ostern 2024 wird’s ernst

Die Gloger-Orgel wird bis zum Herbst 2023 in Leer restauriert und dann nach und nach wieder in der St. Severi-Kirche aufgebaut. Für die kommenden beiden Jahre wird sie von einer kleinen Truhenorgel und einem Keyboard „vertreten“. In dieser Zeit wird auch die Kirche saniert, damit ihr Mauerwerk, die Heizung und das Raumklima der restaurierten Orgel einen guten Schutz bieten, sagt der Otterndorfer Pastor Thorsten Niehus.

Die Wiedereinweihung ist für Ostern 2024 geplant. „Nach gelungener Restauration wird Otterndorf aufgrund der Bedeutung des Instrumentes zu einem norddeutschen Zentrum des Orgeltourismus mit zahlreichen Konzerten international renommierter Künstler werden“, ist Niehus überzeugt. (epd)