Unterwegs mit Bollerwagen
Barbara Jungnickel zieht mit dem „Café auf Rädern“ durch Berlin-Hellersdorf Von Cordula Möbius
Barbara Jungnickel zieht mit dem „Café auf Rädern“ durch Berlin-Hellersdorf
VonCordula Möbius
Da sitzen wir zu viert in der Sonne. Vor uns der Ausgang des U-Bahnhofs Cottbusser Platz. Hinter uns ein riesengroßer Plattenbau, über uns der Hellersdorfer Himmel. Wir, das sind eine Koch-Azubine, ein Mitarbeiter des S-Bahn-Service, Barbara Jungnickel und ich. Unser Treffpunkt ist das „Café auf Rädern“, ein kleiner selbstgebauter Bollerwagen mit roter Plane. Davor stehen Klappstühle und ein mit Kaffee, Tee und Wasser gedeckter Tisch. Wir reden über dies und das. Über das grüne Hellersdorf zum Beispiel, das viel grüner ist als die meisten denken. Und über die Hitze in Großküchen. Schließlich unternehmen wir eine kleine Reise in die Zeit, in der die alte Hellersdorfer Kirche noch dort stand, wo heute mit Graffitis beschmierte Edelstahlstelen zu sehen sind. Ein freundliches, zwangloses Kennenlernen. Und so war das Projekt „Café auf Rädern“ auch gedacht, als es die Kirchgemeinde Berlin-Hellersdorf vor zwei Jahren ins Leben rief. Damals gab es Unruhen um ein geplantes Flüchtlingsheim. Die Menschen im sozial schwachen Hellersdorf fühlten sich vernachlässigt und riefen „Nein zum Heim!“ Rechte Gruppierungen gewannen immer mehr Zuspruch. Man beschloss, dieser Stimmung etwas entgegensetzen. Man wollte den Menschen in Hellersdorf zeigen, dass man für sie da ist und zuhört. Ohne Mission. Ohne Hintergedanken. Einfach so. Dazu musste man raus auf die Straße, dort wo die Menschen sind. Auserkoren für diese Aufgabe wurde Barbara Jungnickel, die Vorsitzende des Gemeindekirchenrates in Hellersdorf.
Seit dem zieht die Mitfünfzigerin ihr Wägelchen ein- bis zweimal pro Woche durch die Straßen, macht an gut frequentierten Orten halt und lädt zum Kaffee ein. „Am Anfang hatte ich vor meinen Treffen unter freiem Himmel ein wenig Angst“, sagt Barbara Jungnickel. „Aber ich bin noch nie böse angemacht worden.“ Natürlich seien manche Menschen zunächst skeptisch, aber die Neugier siege schnell über Vorbehalte. Und so trifft sich der ganz normale Hellersdorfer Durchschnitt an ihrem Tisch – Angestellte, Rentner, Hartz–IV-Empfänger, Selbständige, junge Leute. „Es ist schon vorgekommen, dass Menschen in meinem Café feststellten, dass sie seit Jahren im selben Häuserblock wohnen. Vielleicht grüßen sie sich ja in Zukunft.“
Ein Mann mit dicker Aktentasche kommt des Wegs. Grüßt freundlich. Überlegt. Setzt sich. Er kennt Barbara Jungnickel schon von früheren Begegnungen im rollenden Café. Der Mann ist freier Journalist und Verleger. Er schreibt für ein Polizeifachorgan und verlegt Kriminalgeschichten. Schließlich war er früher, in der DDR, selbst Schutzpolizist und ist jetzt Offizier im Ruhestand. Er hat viel zu erzählen und freut sich, dass seine Geschichten Gehör finden. „Es ist doch sehr auffällig, wie viele Leute es genießen, dass ihnen jemand ein Ohr schenkt“, beschreibt Barbara Jungnickel ihre Erfahrungen. „Gerade ältere Leute haben wirklich keinen, mit dem sie reden können.“ Gesprochen werde über alles, vom Wetter bis hin zur Lebensbeichte. Natürlich sei auch die aktuelle Tagespolitik Gegenstand der Gespräche. „Hier am Tisch spürt man, wenn die Stimmung im Stadtbezirk kippt“, sagt Barbara Jungnickel. „Als sich die Flüchtlingssituation im letzten Jahr verschärfte, war das ganz oft Thema im Café auf Rädern.“
„Ein wenig die Anonymität aufbrechen, zum Nachdenken anregen über Gott und die Welt – das kann und soll das kleine Café bewirken,“ sagt Pfarrer Hartmut Scheel. Er ist seit September 2015 im Kirchenkreis Lichtenberg-Oberspree Kreispfarrer zur besonderen Verfügung und entwickelt Konzepte, wie die Kirche auf Konfessionslose zugehen kann. Hintergrund seiner Arbeit bildet die vom Kirchenkreis in Auftrag gegebene Studie „Werthaltungen und Lebensorientierungen von Konfessionslosen“ des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD. „Solche Einrichtungen wie das Café auf Rädern helfen – in begrenztem Maße – Berührungsängste abzubauen. In dieser Richtung müsste Kirche sehr viel mehr machen“, sagt Hartmut Scheel. Im kommenden Herbst startet die Nachfolgestudie der Befragung, die sich an die Kirchenglieder im Kirchenkreis wendet. Der Servicemitarbeiter, die Azubine und der Journalist machen den Platz frei für eine südamerikanisch ausschauende Frau. Peruanerin ist sie, wohnt in Genf und ist Künstlerin. Jetzt befindet sie sich auf dem Weg in das Flüchtlingsheim, in dem zurzeit etwa 400 Menschen leben. Sie will mit den Flüchtlingen, Hellersdorfer Bürgern und Unkraut als Kunstobjekt ein Projekt verwirklichen. Vielleicht einen Garten anlegen. Gemeinsam aus etwas Ungeliebtem etwas Neues formen – eine wunderbare Idee.
Kontakt: Barbara Jungnickel Telefon (0176)25509800E-Mail: cafe-auf-raedern@gmx.de
Pfarrer Hartmut ScheelTelefon 0162 9617695E-Mail: h.scheel@kklios.de