Ungleiche Liebende

Wie sich eine junge ungebildete Waise und ein verwitweter Prediger näherkommen – ein zutiefst trauriges Buch über Scham und Schuld.

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Marilynne Robinson: Lila.
Von Kerstin Kempermann
„Ich frage mich bloß in letzter Zeit, warum passiert, was so passiert?“ Mit dieser Frage kommt Lila zu Reverend John Ames. Aus den ersten Gesprächen, die vor allem von Lilas Seite von Misstrauen geprägt sind, entsteht schnell mehr. In ihren existenziellen Gesprächen über Gott, Glauben und das Leben kommen sich die beiden grundverschiedenen Menschen – die junge ungebildete Waise und der verwitwete Prediger – näher. Und so gelingt es ihnen, gemeinsam ihre Einsamkeit zu überwinden.
Virtuos schildert Marilynne Robinson diese entstehende Liebe aus der Innensicht von Lila. Sie wird auf der Straße groß. Im Amerika der großen Depression zieht sie gemeinsam mit anderen Wanderarbeitern von Farm zu Farm. Doch in der Krise bricht diese Gemeinschaft auseinander, irgendwann ist Lila auf sich allein gestellt und landet nach der Flucht aus einem Hurenhaus über Umwege in dem Dorf von Reverend John Ames.
Das Schicksal von Lila erschließt sich dem Leser in Rückblenden. Und dafür braucht es Geduld. Denn der Roman konzentriert sich ganz auf das Innenleben der Hauptfigur. Doch wer durchhält, wird mit der faszinierenden Liebesgeschichte zweier Menschen belohnt, die in der Vergangenheit beide viel verloren haben und doch das Wagnis von Vertrauen und Liebe eingehen.
Doch Lila kann ihrem Mann nie ganz vertrauen. Zu sehr ist sie von ihrer Vergangenheit geprägt. „Ich glaube, mit mir stimmt etwas nicht, alter Mann“, sagt Lila eines Morgens zu John. „Ich kann dich nicht so lieben, wie ich dich liebe. Ich kann nicht so glücklich sein, wie ich’s bin.“ Und so ist „Lila“ auch ein zutiefst trauriges Buch über Scham und Schuld und über die Zweifel an Gottes Güte.
Marilynne Robinson: Lila.
S. Fischer 2015
288 Seiten, 21,99 Euro
ISBN 9783100024305