„Und morgen die ganze Welt“ – Deutscher Oscarbeitrag Im Ersten

Drama um eine Studentin, die sich einer Antifa-Gruppe anschließt und mit ihren Freunden einem geplanten Anschlag von Rechtsextremisten auf die Spur kommt. Der Film war 2020 als deutscher Beitrag für die Oscars nominiert worden.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Luisa (Mala Emde) ist jung, stammt aus adeligen Kreisen und studiert Jura – in ihrer Antifa-Gruppe im Studienort Mannheim ist sie anfangs nur geduldet. Dann aber kommen die Aktivisten einem rechten Netzwerk auf die Spur, das Sprengstoff und Munition bunkert. Die Frage, ob Gewalt im Kampf gegen Rechts nicht erlaubt oder gar geboten sein müsste, steht bei Luisa und ihren engsten Vertrauten in der Gruppe, Alfa (Noah Saavedra) und Lenor (Tonio Schneider) plötzlich sehr konkret im Raum.

Regisseurin Julia von Heinz, die selbst Erfahrung mit rechter Gewalt und Antifa-Engagement hat, beginnt ihren Film als Milieu- und Jugendstudie, bevor er sich zum Politthriller wandelt. Dem politisch engagierten Werk fehlt es filmsprachlich und dramaturgisch an der Entschiedenheit, die Konventionen wirklich zu durchbrechen; im Umgang mit einem brisanten Thema ist er aber vielschichtig und glänzt durch viele sprechende Details und herausragende Schauspieler.

Luisa studiert Jura im ersten Semester. Eine höhere Tochter aus landadeliger Familie mit großem alten Haus, Waffenschrank, alten Büchern und prachtvollem Garten. Am Wochenende geht man auf die Jagd.

Luisas Eltern sind nachsichtig, tolerant, auch dann, als die Tochter in eine linke Kommune zieht: Antifa. Auch der altväterliche Spruch, „Wer mit 20 nicht Kommunist ist, hat kein Herz“, darf hier nicht fehlen. Luisa selbst ist nicht zum Lächeln zumute.

Schon in den ersten Minuten des Films „Und morgen die ganze Welt“ von Julia von Heinz ist Luisa einerseits „die Neue“ in der Antifa-Gruppe und im besetzten Haus; andererseits gehört sie doch nie ganz dazu. Denn die Verhältnisse, aus denen sie kommt, sind allzu gesichert; ihr kann nicht wirklich etwas passieren. Das merkt man, sobald es in dem Film, der als deutscher Beitrag für das Rennen um den Oscar nominiert war, ans Eingemachte geht – sobald sich Luisa politisch radikalisiert.

Im Jura-Seminar geht es um Artikel 20 des Grundgesetzes. Das darin festgeschriebene Recht auf Widerstand – „gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen“ -, zählt zum juristischen Standardwissen. Heute berufen sich Neonazis und Rechtsextremisten darauf – gegen die demokratische Ordnung.

Die Anspielungen auf die aktuelle Wirklichkeit sind mit Händen zu greifen. „Und morgen die ganze Welt“ ist engagiertes, politisches Kino. So sieht man, wie Luisas Gruppe gegen eine politische Kundgebung Rechter demonstriert. Deren Plakate sind unverkennbar in Anspielung auf die AfD gestaltet.

Genau so klar streitet dieser Film gegen die Formulierung vom Rechts-Populismus. Gezeigt werden Rechtsextremisten. Und dass die Übergänge die Übergänge zur gewaltbereiten oder gewalttätigen Neo-Nazi-Szene in der Praxis fließend sind.

Zugleich wirft „Und morgen die ganze Welt“ einen Blick auf die geschlossenen Gesellschaften der radikalen Linken. Das beschränkt sich nicht auf Musik hören, gemeinsam abhängen, Fitness-Training für die nächste Demo, Plakate malen, containern oder Klamotten für Flüchtlinge sammeln. Oft genug übernehmen die Antifa-Mitglieder eine engmaschige Beobachtung der Neo-Nazis und identifizieren jene Garagen und Keller, in denen Mitgliederlisten der Organisation lagern, aber auch Sprengstoff und Munition für den nächsten Anschlag bereitgehalten werden.

Während die erste Hälfte des Films ein Panorama des Antifa-Alltags ausbreitet, spitzt sich die Erzählung in der zweiten Hälfte durch die Entdeckung eine solchen Garage zu. Damit wird aus der Milieu- und Jugendstudie ein Politthriller, der um die Frage kreist: Wann ist Gewalt erlaubt? Wo greift das Widerstandsrecht des Bürgers?

Die Stärken des Films liegen in seiner Geschichte und den vielen sprechenden Details, etwa der Stadt Mannheim als einem facettenreichen Schauplatz. Sie liegen aber auch in einer Schauspieler-Riege mit vielen unbekannten Gesichtern, die durchweg sehr gut spielen. Neben der Hauptdarstellerin Mala Emde als Luisa sind vor allem Noah Saavedra und Tonio Schneider hervorzuheben. Außerdem Andreas Lust, der einen desillusionierten Antifa-Veteranen spielt.

Defizite gibt es allerdings im Ästhetischen. Es fehlt eine durchgängige Filmsprache und eine erkennbare Haltung. Es gibt eher wenige Momente, in denen der Film über einen nackten Realismus hinausreicht. In manchen Momenten besitzt „Und morgen die ganze Welt“ aber die Qualitäten der besseren Werke von Fatih Akin: eine unmittelbare Sinnlichkeit, die Bereitschaft, Blut, Schweiß, Tränen und andere Körperflüssigkeiten nicht auszusparen. Nicht zu glätten, sondern „gritty“ zu sein. Das birgt manchmal auch die Gefahr, Emotionen schon für die Sache selbst zu nehmen.

Man glaubt zu spüren, dass die Filmemacherin so hin und hergerissen war wie ihre Hauptfigur, man glaubt zu erkennen, dass ein anderes Ende möglich gewesen wäre, vielleicht weniger unentschieden. Die Unentschiedenheit, die „Und morgen die ganze Welt“ durchzieht, wird indes vor allem durch den Mut der Regisseurin ausgeglichen, moralisch wie politisch dorthin zu gehen, wo es weh tut: zu den Debatten um Gewalt und der Frage, wann diese gerechtfertigt sein könnte.