Und die Gemeinde trifft er bei der Gassi-Runde

Tierseelsorgegespräche und Tiergottesdienste stehen bei ihm auf dem Plan. Der Lübecker Pastor Thomas Baltrock ist ein großer Tierfreund. Unterwegs mit einem Seelsorger, der seiner Gemeinde auf der Straße begegnet.

Der Pastor und sein Hund: Thomas Baltrock mit Labrador Fausto
Der Pastor und sein Hund: Thomas Baltrock mit Labrador FaustoSina Worm

Lübeck. Er ist in seinem Viertel bekannt wie ein – nun ja – bunter Hund: Thomas Baltrock, Pastor in der Lübecker Gemeinde St. Aegidien. Doch in seiner Nachbarschaft gilt er als der „Tierpastor“, und das aus gutem Grund. Ein- bis zweimal im Monat führt er Tierseelsorgegespräche, um die ihn Gemeindemitglieder bitten, und feiert seit 15 Jahren Tiergottesdienste in St. Aegidien. Er kennt sich also aus mit den Menschen und ihren Mitgeschöpfen und sagt: „Nicht die Tiere werden vermenschlicht, sondern die Menschen vertieren sich. Ich gehe mit meinem Fausto infantiler um als mit einem ausgewachsenen Theologieprofessor.“

Fausto, das ist sein 18 Monate alter Labrador, mit dem Baltrock jeden Tag mindestens anderthalb Stunden unterwegs ist. Bestens gelaunt, mit Hut und Hundeleine, trifft man ihn im beschaulichen Aegidienviertel beim Gassigehen. „Was meinen Sie, wie viele Gespräche ich auf meiner Hunde-Runde führe“, sagt er lachend. „Sagen Sie mal, Herr Pastor“, heißt es dann, und ganz schnell käme man über den Hund zur Taufe des Enkels. „Und manchmal weiß ich nicht mal, wie die Menschen heißen, aber ich weiß, dass sie die Herrchen von Bello sind“, sagt Baltrock. Er rede auf seinen Wegen auch mit vielen, die nicht in die Kirche kämen, denn Fausto sei längst ein Sympathie­träger der Gemeinde.

Mit Hunden aufgewachsen

Thomas Baltrock ist Tierfreund, mit Hunden aufgewachsen. Die Seelsorgegespräche sind ihm ein wirkliches Anliegen, auch wenn mancher das belächelt. Es sind meist Verlustgeschichten, die er hört, etwa, wenn Hund oder Katze überfahren worden sind. Er hört von Schuldgefühlen, wenn ein Tier eingeschläfert wurde, und von der Angst, das alte mit einem neuen zu betrügen. Menschen fragen ihn: „Kann ich mir noch ein Haustier anschaffen? Ich bin ja schon so alt.“ Da sei der eigene Tod nicht so wichtig, sagt Baltrock, sondern die Frage: „Was wird aus meiner Katze?“ Zuhören, die Menschen ernst nehmen, das ist es, was er tue.

Grenze durchlässig geworden

Mittlerweile habe sich etwas Grundlegendes verändert. Die Grenze zwischen Mensch und Tier war früher klarer und ist heute durchlässig geworden. „Ich komme aus einer Zeit, da gab es keine Schoß-, sondern nur Jagd- und Hofhunde.“ Hatte sich der Hund mit einem Fuchs gebissen, habe man ihn aus Angst vor einer Tollwut einfach erschossen. Heute sind Tiere Familienmitglieder, sie sind Kind- oder Partnerersatz und werden als Statussymbol teuer inszeniert.

Die Lücken, die ein fehlendes Kind oder ein fehlender Partner lassen, könnten sie ohnehin nicht schließen. Damit sei jedes Tier überfordert. „Man quält keinen Hund, wenn man ihn im eigenen Bett schlafen lässt“, so Baltrock, aber das sei eben auch eine Frage der artgerechten Haltung. „Wenn ich sehe, wie Hunde in Handtaschen gesteckt werden, dann tangiert das die Grenze zur Misshandlung“, schimpft er.

Zu Besuch im Pflegeheim

Der Pastor hat im Laufe der Jahre viele Geschichten über Zwei- und Vierbeiner gehört. Abstruse, verstörende und berührende. Wie die von einem alten Mann, der ins Pflegeheim musste. Er hatte ein letztes Abendessen gekocht und wollte danach den Gashahn in der Küche aufdrehen, weil er den Hund nicht mitnehmen konnte, erzählt Baltrock. Er überzeugt den Mann, für das Tier ein neues Zuhause zu suchen. Die jetzigen Besitzer kommen ihn regelmäßig besuchen, weil der Alte seinen Gefährten so vermisst. Das geht dem Hund nicht anders: Der muss nach jedem Besuch aus dem Heim gezerrt werden.

Riesengeschäft mit Haustieren

Überhaupt ist mit Haustieren inzwischen ein Riesengeschäft zu machen. Der Industrieverband Heimtierbedarf meldet für das vergangene Jahr einen Gesamtumsatz von rund 6 Milliarden Euro. „Im Futterhaus wird mehr Hunde- und Katzenfutter verkauft, als es Babynahrung gibt“, so Baltrock. Und noch ein Widerspruch bringt den Tierpastor auf die Palme. „Ja, es ist so, dass wir unsere Haus­tiere vergöttern und billiges Fleisch aus Massentierhaltung kaufen.“ Das sei die Schere im Kopf der Menschen und eine unerträgliche Heuchelei, aber Baltrock wird nicht müde und zürnt: „Ändert endlich euer Konsumverhalten­! Ihr macht euch schuldig!“

So wütend Baltrock ist, so berührbar bleibt er. Er erzählt von einem Trauergespräch, zu dem er den Hund mitbringen durfte. Er hatte eine in ihrem Verlust verkrampfte Frau vor sich sitzen, der Fausto auf einmal den Kopf auf die Oberschenkel legte. Die Frau fing an, den Hund zu streicheln, und Baltrock sagt: „Im Grunde war das ihre Rückkehr ins Leben.“