Es sind grausam nüchterne Eckwerte, ab wann eine Ernährungskrise als Katastrophe gilt. In dem palästinensischen Küstenstreifen sind die betreffenden Umstände eingetreten.
Die Lage im Gazastreifen erreicht nach Kriterien der Vereinten Nationen die Grenze zu einer regelrechten Hungerkatastrophe. Inzwischen hätten vier von zehn Menschen über mehrere Tage nichts zu essen, teilten die Welternährungsorganisation FAO, das Welternährungsprogramm WFP und das Kinderhilfswerk Unicef am Dienstag in Rom mit. Mehr als eine halbe Million Menschen, ein Viertel der Gesamtbevölkerung, lebe jetzt unter Bedingungen, die der äußersten Phase einer Hungerkrise entsprechen.
Nach der “Integrierten Klassifizierung der Ernährungssicherheitsphasen” oder IPC-Skala ist dann von einer Hungersnot die Rede, wenn mindestens jeder fünfte Haushalt keine Lebensmittel mehr hat, mehr als 30 Prozent der Menschen akut unterernährt sind und täglich zwei von 10.000 Personen verhungern. Das ist die letzte Phase in einem fünfstufigen System von Ernährungssicherheit.
Im Gazastreifen entfalte sich “das Worst-case-Szenario einer Hungerkatastrophe”, heißt es in der aktuellen IPC-Bewertung. Seit der letzten Analyse Mitte Mai habe sich der Anteil der Haushalte in “extremem Hunger” verdoppelt. Grund seien unter anderem die Bombardierungen und Bodenoffensiven des israelischen Militärs, weiträumige Evakuierungen und zuletzt eine “alarmierend unregelmäßige und extrem gefährliche” Versorgung mit Lebensmitteln.
Akute Unterernährung als zweiter Kern-Indikator für eine Hungersnot ist laut dem Papier ebenfalls stark gestiegen. Bei Kleinkindern habe sich die Rate innerhalb von zwei Monaten vervierfacht. Jedes sechste Kind unter fünf Jahren sei betroffen.
Auch Berichte über Hunger als Todesursache – der dritte Indikator – häuften sich. Belastbare Daten seien aber unter den Kriegsumständen schwer zu erheben, hieß es.
Der Gazastreifen stehe “am Rande einer regelrechten Hungersnot”, sagte FAO-Generaldirektor Qu Dongyu. “Die Menschen hungern nicht, weil es keine Nahrungsmittel gibt, sondern weil der Zugang zu ihnen blockiert ist, die lokale Landwirtschaft zusammengebrochen ist und die Familien nicht einmal mehr die elementarsten Lebensgrundlagen erhalten können.”
WFP-Direktorin Cindy McCain nannte es “gewissenlos”, noch auf eine offizielle Bestätigung einer Hungerkatastrophe zu warten. Die umkämpfte Enklave müsse “sofort und ungehindert” mit Nahrungsmitteln in großem Umfang beliefert werden.