Projekt “church4night”: Übernachten unter dem Kirchturm
Ein Schlafplatz in oder an der Kirche – und das ohne Bezahlung? Ein evangelischer Geistlicher will das ermöglichen. Unter dem Namen “church4night” hat er ein bundesweites Internetportal gestartet.
“Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt!”, mahnt schon die Bibel. Propst Martin Cachej aus Evessen bei Braunschweig hat sich diesen Appell in besonderer Weise zu eigen gemacht. Mit dem Projekt “church4night” will er Menschen auf der Durchreise bundesweit ermöglichen, in Kirchen zu übernachten oder auf Kirchplätzen zu campen. Ein eigens erstelltes Internetportal soll Reisende und teilnehmende Kirchengemeinden zusammenbringen. “Mein Traum ist: Ich fahre am Nordkap los bis Brindisi und habe überall die Gelegenheit, an Kirchen oder in Kirchen zu übernachten”, so der Geistliche.
Die Idee hatten er und seine Frau in der Corona-Zeit. “Wir haben uns einen kleinen Camper gekauft, waren damit unterwegs und haben uns die Frage gestellt, warum es keine Stellplätze an Kirchen gibt. Die haben in der Regel tolle Grundstücke in schönen Lagen, die man nutzen könnte.”
Zeitgleich habe er von der britischen Erfindung des “Champings” gelesen, einer Wortschöpfung aus “church” und “camping”. Dort können Reisende in Kirchen übernachten. Mit dem Erlös sollen leerstehende Gotteshäuser vor dem Verfall bewahrt werden.
Betten unter der Orgelempore
Im Frühling startete Cachej das Internetportal und geht seither in seiner eigenen Gemeinde in Evessen bei Braunschweig mit gutem Beispiel voran. Camper können auf der Wiese vor der romanischen Dorfkirche in Bulli, Wohnmobil oder Zelt übernachten oder in der Kirche schlafen. Unter der Orgelempore hat die Gemeinde zwei Betten aufgestellt. Außerdem gibt es die Möglichkeit, sich einen Kaffee oder Tee zu kochen.
Bisher bieten sechs Kirchengemeinden in Deutschland und eine in Österreich Stellplätze für Camper auf dem Portal an. Zwei weitere haben Cachej zufolge Interesse signalisiert. Das Übernachten in der Kirche wird bisher nur in Evessen angeboten.
Im Gegensatz zum englischen Vorbild ist das Übernachten in der niedersächsischen Gemeinde kostenlos. Regeln gibt es nur wenige: So dürfen laut Campingplatz-Verordnung nicht mehr als drei Wohnwagen oder Zelte auf einem Grundstück stehen. Die Verweildauer für Camper ist auf 24 Stunden begrenzt. Ein respektvoller Umgang mit dem besonderen Ort wird erwartet.
Morgens scheint die Sonne durchs Kirchenfenster
Zehn Reisende haben in diesem Jahr bereits in der Kirche in Evessen übernachtet, vier haben gecampt. Zwei davon sind Christine Tiedemann (54) und ihr Freund Jan Witte (56). Die beiden Hamburger erfuhren durch eine Freundin von dem Angebot. Eigentlich wollten sie eine Nacht in ihrem Bulli auf dem Kirchhof und eine Nacht in der Kirche schlafen. Weil es ihnen jedoch in der Kirche so gut gefiel, verbrachten sie beide Nächte im Gotteshaus. “Die Atmosphäre war unfassbar toll”, schwärmt Tiedemann. “Da standen Blümchen, da lagen frische Äpfel. Alles war mit so viel Liebe vorbereitet.” Am Morgen seien sie vom gleißenden Sonnenlicht geweckt worden, das durch die Kirchenfenster drang.
Auch die Reaktionen der anderen Gäste waren laut Cachej durchweg positiv. “Eine Frau sagte, sie fühle sich sicherer unter dem Schutz des Kirchturms als auf gewöhnlichen Stellplätzen.” Viele schätzten die besondere Atmosphäre des Kirchenraums. Ins Gästebuch schrieb jemand, er habe eine himmlische Nacht gehabt. So ähnlich würde er sich das Leben bei Gott auch vorstellen. “Das ging mir ins Herz”, so der Propst.
Manchmal ergeben sich Gespräche mit den Gästen
Zwei Eheleute hätten sich bei einer spontanen Kirchenführung an ihre Hochzeit erinnert und angefangen, aus ihrem Leben zu erzählen. Genau das sei die Idee von “Church4night”, sagt Cachej. “Wir wollen nicht missionieren oder bekehren. Sondern wir wollen zeigen, dass Kirche da ist und dass sie anders ist, als sie manchmal wahrgenommen wird.”