Überlebensfrage Wasserstand

Der Konstanzer Diplom-Biologe Michael Dienst ist durchaus ein bisschen stolz. Auf dem Gelände der Landesgartenschau 2020 in Überlingen am Bodensee hatte die Arbeitsgruppe Bodenseeufer (AGBU) einen Strandlingsrasen in einer Flachwasserzone anlegen lassen. Und die hat bis heute Bestand. „Am schönsten ist sie zur Zeit der Blüte des Bodensee-Vergissmeinnichts (Myosotis rehsteineri) im April“, berichtet Dienst. Zu finden ist das botanische Kleinod am Seeufer westlich des Ortsrands von Überlingen.

Strandlingsrasen ist „unscheinbar und doch so wertvoll“, beschreiben Dominique Remy und Simone Schneider von der Floristisch-soziologischen Arbeitsgemeinschaft (FlorSoz) die „Pflanzengesellschaft des Jahres 2023“. Die FlorSoz will damit auf die Gefahr ihres Verschwindens hinweisen. „Die Strandlingsrasen zählen zu den durch intensive Landnutzung, Grundwasserabsenkung, Nährstoffeinträge und zunehmend auch durch den Klimawandel extrem bedrohten Pflanzengesellschaften Deutschlands“, erläutern sie. „Das Gros der Strandlingsrasen ist inzwischen verschwunden, daher sind dringend Maßnahmen zum Schutz der Habitate notwendig.“

Im Strandlingsrasen dominieren unauffällige Unterwasserwasserpflanzen wie der Europäische Strandling (Littorella uniflora), die Wasser-Lobelie (Lobelia dortmanna), das See-Brachsenkraut (Isoëtes lacustris) und das Froschkraut (Luronium natans). Sie lieben sandig-kiesige Rohböden, teils auch torfige Substrate. „Sie dominierten früher die Flachwasserzone an den Ufern von nährstoff- und basenarmen sowie gleichzeitig sehr klaren Gewässern. Viele der Strandlingsrasen befanden sich in flachen Heidetümpeln. Diese Habitate sind jedoch weitgehend durch Nährstoffeinträge und vollständige Austrocknung verloren gegangen“, erläutern die Wissenschaftler im FlorSoz.

Gut ausgebildete Strandlingsrasen seien „inzwischen extrem selten“. Der großflächige Rückgang habe sich in Deutschland bereits in den frühen 1950er-Jahren abgezeichnet, als es im Zuge umfangreicher Maßnahmen, um Wiesen und Äcker bewirtschaftbarer zu machen, beispielsweise durch Entwässerungsgräben, zu Grundwasserabsenkungen kam. Inzwischen wurde der Strandlingsrasen als Lebensraumtyp in die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU aufgenommen.

Michael Dienst, der seit Jahrzehnten einen Forschungsschwerpunkt beim Strandlingsrasen hat und Gründer des Büros für angewandte Ökologie in Konstanz ist, erklärt, dass die Situation am Bodensee eine eigene Dynamik hat. Die AGBU, ein Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Ingenieurinnen und Ingenieuren unterschiedlicher Fachdisziplinen, forscht dazu, um den Schutz und eine nachhaltig umweltgerechte Nutzung des Bodenseeufers zu fördern.

Am Bodensee heißt diese Pflanzengesellschaft Strandschmielen-Gesellschaft, denn in ihrem Mittelpunkt steht eine wie das Bodensee-Vergissmeinnicht nur am Bodensee vorkommende Schmiele (Deschampsia rhenana) – ein Süßgras. Die Pflanzung am Kiesufer bei Überlingen habe sich gut erhalten und werde, wie es diese Pflanzengesellschaft braucht, jährlich für einige Monate überschwemmt, etwa von Juni bis September. „Der Bodensee ist wieder nährstoffarm, sodass die Pflanzengesellschaft dort wachsen kann“, erklärt Dienst. Strandrasen brauche für sein Gedeihen Flächen ohne Schilf oder mit sehr dünnem Schilfbewuchs, weil Schilf ihm Konkurrenz macht.

Die AGBU beobachte, dass sich am Bodensee die Überschwemmungsdynamik verändert. Die Auswirkungen werden beobachtet, die Pflanzung gepflegt und kontrolliert. Eigentlich, sagt Dienst, habe die bodenseetypische Strandschmielen-Gesellschaft gute Lebensbedingungen. Nun sei die Frage, welche Auswirkungen die Klimaveränderung auf das Bodenseeufer hat. (2177/13.09.2023)