TV-Premiere zum Umgang mit Sprache im Werk von Elfriede Jelinek

“Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen” ist ein dokumentarisches Porträt über die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek und ihr faszinierend vielfältiges Werk.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek arbeitet seit den 1960er-Jahren an einem vielschichtigen Werk, das Lyrik, Prosa, Theater- und Hörspiele, Essays, Libretti, Drehbücher und Übersetzungen umfasst. 2004 wurde sie als erste österreichische Autorin mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

Dass sie in ihrem Oeuvre nicht nur patriarchale Herrschaftsmuster, sexuelle Unterdrückung und Rassismus in einer schmerzhaft sarkastischen Sprache zum Ausdruck brachte, sondern auch die unbewältigte NS-Vergangenheit Österreichs ans Licht zerrte, machte sie jedoch in ihrer Heimat zu einer der verhasstesten Figuren. Die Autorin zog sich zeitweise aus der Öffentlichkeit zurück, seit dem Nobelpreis gibt sie gar keine Interviews mehr und tritt nirgendwo auf.

Das materialreiche Porträt von Claudia Müller von 2022 zeigt dagegen, dass Jelinek einst auch in Person in den Medien sehr präsent war. Müller versammelt Interviews, Archivbilder und neu eingesprochene Off-Texte aus Jelineks Werk, wobei ihr Umgang mit Sprache im Zentrum steht. In Gestalt der Collage findet der sehenswerte Film auf überzeugende Weise eine formale Entsprechung für die Montagetechniken von Jelinek.

“Wo Ich draufstehe, ist zwar Ich drin, aber Ich ist sowieso nicht Herr im eigenen Haus, es ist höchstens der Hausmeister, der die Böden des Bodenlosen wischt”, heißt es in einem Text von Elfriede Jelinek. An Anfang des Films “Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen” ist die Passage, von der Künstlerin selbst vorgetragen, aus dem Off zu hören, während sie in verschiedenen Lebensaltern in Wien und anderen Städten unterwegs zu sehen ist: mit kerzengerader Haltung, stil- und modebewusst, als Erscheinung unverwechselbar, aber doch im ständigen Wandel.

Sie zeige an ihren Figuren nicht das Handelnde, sondern das Ausgeliefertsein an politische und gesellschaftliche Mechanismen, erklärt Jelinek später in einem Interview. Es sei genau dieses Fehlen des individuellen Freiraums, das viele ihrer Rezipienten so wahnsinnig wütend mache: “Bei mir sind es eigentlich Zombies”.

Seit ihren ersten Texten Ende der 1960er Jahre hat Jelinek der Gesellschaft ihre künstlerische Produktivität, ihren politischen (feministischen) Aktivismus und die Kraft der Worte entgegengeschmettert. Dass sie dabei nicht nur patriarchale Herrschaftsmuster, sexuelle Unterdrückung und Rassismus in einer schmerzhaft sarkastischen Sprache zum Ausdruck brachte, sondern auch die unbewältigte NS-Vergangenheit Österreichs ans Licht zerrte, machte sie sich im eigenen Land zu einer der verhasstesten Figuren.

Jelinek wurde als “Pornografin” und “Nestbeschmutzerin” diffamiert, obwohl der Dreck offensichtlich woanders zu suchen und zu finden war (etwa in den Nazi-Vergangenheiten der Schauspielerin Paula Wessely und des Politikers Kurt Waldheim). Nicht nur, aber vor allem die ganz rechten Kräfte hetzten gegen Jelinek.

Die Autorin reagierte mit (später wieder aufgehobenen) Aufführungsverboten ihrer Stücke in Österreich und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Seitdem gibt sie keine Interviews und tritt nirgendwo auf. Als Schriftstellerin, Dramatikerin und literarische Ikone aber ist sie bis heute präsent.

Die Filmemacherin Claudia Müller überlässt Jelinek ganz das Wort und macht den “musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen”, der ihr Werk auszeichnet (so die Begründung des Literaturnobelpreiskomitees) zum Strukturprinzip ihres Films.

“Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen” von 2022 ist eine Collage aus Fernseh- und Hörfunkinterviews mit Jelinek und Auszügen aus Texten, die von Schauspielerinnen und Schauspielern wie Sandra Hüller, Stephanie Reinsberger, Martin Wuttke, Sophie Rois und anderen eingesprochen wurden.

Die Sprache steht im Zentrum des Films, sie bekommt ihren Raum, wird ausgestellt und in Bilder hineingestellt, die sich weniger illustrativ als atmosphärisch mit dem Gesprochenen verbinden: Familienfotos, 8-mm-Aufnahmen aus den 1950er und 1960er Jahren, die in Filmclub-Archiven in der Steiermark gefunden wurden, aber auch historisches und neu gedrehtes Bildmaterial zu schockierenden Ereignissen, die Eingang in Jelineks Texte fanden.

Immer wieder sieht man auch Naturbilder, touristische Szenen, schneebedeckte Wälder, blühende Wiesen. Die Zombies sind bei Jelinek auch all die Leichenberge, die unter der Erde der österreichischen Landschaft vergraben sind.

Sie habe sich in die Sprache gerettet, so Jelinek, schließlich sei sie die einzige Kunstform gewesen, die ihre Mutter nicht gefördert habe. 1946 wurde Jelinek in Mürzzuschlag als Tochter einer fordernden und überfordernden Mutter geboren. Im Alter von 3 Jahren erhielt sie Tanzunterricht und Französisch, mit 7 kam Klavier dazu, mit 8 die Geige, mit 14 lernte sie am Wiener Konservatorium Orgel, Blockflöte und Komposition. Nach der Matura fiel sie in ein Loch, ging nicht mehr aus dem Haus und begann zu schreiben. Die Angststörung begleitet sie seither; zur Verleihung des Nobelpreises konnte sie nicht anreisen, was ihr von vielen Seiten übelgenommen wird.

Selbst die sich seriös gebende Literaturkritik sucht mitunter die private Person in ihren Texten, spekuliert über Beschädigungen und mögliche Ursachen für all die geäußerte Wut. Selbst Claudia Müller kann es nicht ganz vermeiden, eine biografische Spur ins Werk zu legen – was bei einem Roman wie “Die Klavierspielerin” wohl auch nicht völlig verkehrt ist. Sie verliert sich jedoch, wenn das geschriebene Wort von der Leine gelassen wird und sich seinen Raum nimmt.