“Trump überwältigt uns mit Unsinn”
In den USA ist der Wahlkampf auf der Zielgeraden: Das Rennen ums Weiße Haus ist das dominante Thema in Zeitungen, Portalen und Fernsehsendern. Donald Trump macht wieder Schlagzeilen mit verbalen Eskapaden, die angeprangert, verharmlost oder bejubelt werden. Kamala Harris’ Botschaften der Zuversicht werden eher positiv bewertet. Gewählt wird am 5. November.
Besonders geprägt wird das mediale Geschehen von den Wählerumfragen – ihre Aussagekraft indes ist begrenzt. In den Erhebungen liegt die demokratische Vizepräsidentin Harris knapp vor dem republikanischen Ex-Präsidenten Trump. Doch wird die Fehlerquote berücksichtigt, schmilzt der Unterschied dahin.
Das Forschungsinstitut „Pew Research Center“ fasste Ende August zusammen: Insbesondere Umfragen auf der Ebene der Bundesstaaten hätten 2016 und 2020 „große Fehler“ enthalten. Stehe Trump zur Wahl, seien die Umfragen weniger korrekt als bei Zwischenwahlen ohne Trump.
Zur medialen Alltagskost gehören im Wahlkampf 2024 zudem Videoclips von Trump mit Beschimpfungen und Beleidigungen. Das liberale Amerika sieht die Demokratie bedroht und wundert sich, wie sich Trump halten kann. Das Magazin „The New Republic“ kommentierte: Der republikanische Kandidat lüge „mit schwindelerregender Regelmäßigkeit“. Doch er werde bei der Berichterstattung „behandelt wie ein normaler Kandidat“.
Kommunikationsprofessorin Kathleen Hall Jamieson von der Universität von Pennsylvania in Philadelphia, hat sich um eine Erklärung für dieses komplexe Phänomen bemüht. Seit Trumps Kandidatur 2016 berichte die Presse über Trumps Normverstöße und verletztende Aussagen, erklärt Jamieson. Mittlerweile seien die Medien daran gewöhnt: Die übergriffige Kommunikation werde geradezu erwartet.
Der Chefredakteur des liberal-bürgerlichen Magazins „The Atlantic“, Jeffrey Goldberg, beschreibt die Situation so: „Trump überwältigt uns mit Unsinn.“ Medienschaffende seien allerdings versucht, Trumps Rhetorik zu entschärfen. Dabei folgten sie dem Muster: „Trump hört sich verrückt an, doch er kann nicht verrückt sein, weil keine große Partei jemanden nominieren würde, der verrückt ist.“
74 Millionen Menschen haben 2020 Trump gewählt. Bei Fans kommt es offenbar an, wenn Trump seine Konkurrentin vulgär beschimpft oder die Demokraten für eine Verbrechenswelle verantwortlich macht, die laut FBI-Daten gar nicht existiert. Den etablierten Medien, die ihr Kandidat als Fake-News-Schleudern beschimpft, trauen die meisten Trump-Wähler nicht. Sie setzen vor allem auf den Kabelsender Fox News und ein Ökosystem rechter Online-Publikationen.
In vielen Fällen profitiert Trump von einem falsch verstandenen Prinzip der Ausgewogenheit. Aussagen werden dabei unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt gleich gewichtet. Das geht zum Beispiel so: Anfang September reiste Kamala Harris in den Bundesstaat New Hampshire, um eine Steuerreform vorzustellen. Zahlreiche Meldungen berichteten über die Initiative – aber zugleich unreflektiert über einen Trump-Prost. „Genossin Kamala Harris“ habe Probleme in New Hampshire, wo die „Lebenshaltungskosten durch die Decke gehen“, schrieb der Ex-Präsident auf seinem eigenen Netzwerk „Truth Social“.
Gelernt haben manche Medien offenbar aus der Affäre um geleakte und teilweise peinliche E-Mails von Mitarbeitern der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton im Wahlkampf 2016. Der republikanische Rivale Trump freute sich darüber, dass die Medien den Mail-Verkehr ausführlich beleuchteten.
Anders im Wahlkampfsommer 2024. „Politico“, „New York Times“ und „Washington Post“ erhielten angebliche Leaks aus der Wahlkampagne von Donald Trump. Nichts wurde veröffentlicht. Man habe dabei in Betracht gezogen, ob das Material wirklich einen Nachrichtenwert habe, und wer es mit welchen Absichten geleakt haben könnte, erklärte dazu „Post“-Chefredakteur Matt Murray.
Der „Superbowl“ des Wahlkampfes ist das Fernsehduell zwischen Trump und Harris am 10. September. Wie viel Einfluss die Debatte auf das Wahlverhalten hat, ist ungewiss. Folgenreich war die erste Debatte zur Präsidentschaftswahl am 27. Juni, als Trump gegen Präsident Joe Biden antrat: Der desaströse Auftritt des Amtsinhabers löste dessen Rückzug aus dem Präsidentschaftsrennen aus.