Trotz täglicher Gefechte keine zweite Front

Während seit 74 Tagen im Gazastreifen mit zunehmender Härte gekämpft wird, ist die befürchtete Eskalation an Israels Nordgrenze bislang ausgeblieben. Doch es herrscht große Unsicherheit.

Zwar hatte die Hisbollah, die im Süden des Libanon mit Tausenden Kämpfern und einem enormen Raketenarsenal bereitsteht, ein massives Eingreifen angekündigt, falls Israel Bodentruppen in den Gazastreifen schickt. Bislang aber blieb es bei wechselseitigem Beschuss. Täglich heulen mehrmals Alarmsirenen in den israelischen Grenzorten; täglich gibt es Artillerie-Duelle; täglich fliegen Raketen und bombardiert die Luftwaffe. Und immer wieder gibt es Verwundete und Tote. Aber noch liegt die Kampftätigkeit unterhalb der Schwelle, die eine zweite Kriegsfront entstehen lassen würde.

Dabei ist die Zahl der Opfer auf libanesischer Seite offensichtlich höher, wie der maronitische Patriarch, Kardinal Bechara Rai, zuletzt beklagte. Das Oberhaupt der größten christlichen Kirche im Libanon sprach von täglichen und anhaltenden bewaffneten Angriffen Israels auf die Dörfer im Süden des Libanon, wo täglich Tote bemeldet würden.

„Die Lage hier ist angespannt; jeden Tag passiert irgendetwas. Wir hören mitunter den Kampflärm, die Flugzeuge, die Einschläge und Detonationen bis hinunter an den See Genezareth“, sagt Georg Röwekamp, der in Tabgha das Gästehaus des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande (DVHL) leitet.

Bislang sind 42 jüdische Städte und Dörfer entlang der israelischen Nordgrenze evakuiert. Die Bewohner leben in Hotels in sichereren Regionen des Landes, auch in Jerusalem. Und Israel beharrt darauf, dass sie erst dann zurückkehren sollen, wenn sich die schiitische Terrormiliz Hisbollah hinter den Litani-Fluss in etwa 40 Kilometer Entfernung zurückgezogen hat.

Ob dieses Ziel durch eine diplomatische Lösung erreicht werden kann – insbesondere die alte libanesische Schutzmacht Frankreich und Großbritannien sollen eingeschaltet sein -, bleibt offen. Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant erklärte bei einem Besuch nahe der Nordgrenze, man sei ebenso bereit, die Terroristen mit militärischen Mitteln aus dem Grenzgebiet zu vertreiben.

Allerdings sagte Sayyed Hashem Safieddine, der Vorsitzende des Exekutivrates der Hisbollah, noch vor einer Woche, seine Organisation wolle die aktuellen Grenzkonfrontationen mit Israel nicht ausweiten. Das sagen ähnlich auch die Israelis. Und dennoch gibt es täglich Schusswechsel und Angriffe – wie bei einem Ping-Pong-Spiel, bei dem man nicht genau wisse, wer angefangen habe, so ein Beobachter.

Auf den ersten Blick habe man den Eindruck, das Leben laufe hier normal, meint Röwekamp. Man geht durch Supermärkte hier am See, Musik im Hintergrund; und „gleichzeitig sind die Menschen innerlich angespannt, weil man nicht weiß, was kommt; wie lange das so andauert“.

Besonders besorgt sind die Christen in Galiläa. Anders als die jüdischen Gemeinden im Grenzbereich wurden die arabischen und auch die gemischt bewohnten bislang nicht evakuiert. Und ohnehin sind die Gemeinden direkt an der Grenze „off-limits“ – Zutritt verboten! So auch die alte Kirche des 1948 von der israelischen Armee evakuierten arabischen Christen-Dorfes Baram. Sonst kommen dort jeden Sonntag die früheren Gemeindemitglieder zum Gottesdienst zusammen.

Belastet ist durch den Gaza-Krieg zunehmend auch das Verhältnis zwischen den Volksgruppen, also zwischen arabischen und jüdischen Israelis in Galiläa. Das empfinden die Christen nochmals intensiver. Nicht wenige von ihnen hatten Verständnis für die Selbstverteidigung der Israelis in Gaza, waren schockiert von den Massakern am 7. Oktober. Denn auch sie leben in einer grenznahen Situation, mit einer Terrororganisation in der Nachbarschaft, mit der niemand sympathisiere.

Inzwischen mache sich aber auch hier eine Unsicherheit breit, sagt Röwekamp. Mancher werde schräg angeschaut, wenn er auf Arabisch telefoniere. Doch dann gebe es manchmal auch wieder gemeinsame Initiativen, wo Juden und Araber aus benachbarten Dörfern gemeinsam Pakete für obdachlos gewordene Israelis packten.

Für das Wochenende hatte das DVHL-Pilgerhaus die deutschsprachige Community und Gäste zum vorweihnachtlichen Adventstreffen eingeladen – freilich in bescheidenerem Rahmen als in den Vorjahren. Es gab gemeinsame Gebete, gemeinsames Singen von Adventsliedern, einen kleinen Wohltätigkeitsbasar und Glühwein. Ein Kompromiss – denn die Christen sollen diesmal auf laute Feiern verzichten. Dennoch suchen sie eine Gelegenheit, sich auf das christliche Hochfest einzustimmen – und dabei immer auch neu den ursprünglichen Sinn der Feiertage zu entdecken.