Trauma-Forscher über den Bibliotheksbrand in Weimar vor 20 Jahren
Am 2. September 2004 stand die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar in Flammen. Viele Bürger waren emotional tief berührt – obwohl nur die wenigsten die Bücher kennen, die bei dem Großbrand verichtet wurden.
Der Brand der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar vor 20 Jahren: Nach Einschätzung eines Trauma-Forschers geht ein solches Ereignis vielen Menschen nahe, auch wenn sie nicht konkret wissen, welche Bücher genau durch die Flammen vernichtet wurden. “Das hat mit dem Wissen um die Einmaligkeit von Dingen zu tun: Etwas ist unwiederbringlich weg, was es nur einmal gegeben hat”, sagte der Leiter der Abteilung für Psychosomatische Medizin an dem Uniklinikum Regensburg, Thomas Loew, am der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
“So ein Verlust spielt ins Existentielle rein. Jeder kennt das Sammeln und das Bewahren von Geschichten. Jeder hat irgendwo eine Kiste mit alten Fotografien oder Briefen.” Dabei werde der Verlust umso schmerzlicher empfunden, je höher das kulturelle Bewusstsein sei. “In der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek wurden Kulturschätze aus hunderten von Jahren aufgehoben.”
Hinzu komme der Verlust oder die Beschädigung eines das Stadtbild prägenden Bauwerks. “Personen haben für uns schon die größere Bedeutung, aber räumliche Information ist für uns wichtiger als viele denken. Wir merken uns auch Orte”, so der Psychotherapeut. “Zudem hängen die Menschen an den Strukturen, die sie kennen. Jede Veränderung löst Angst aus. Das macht sich schon bemerkbar, wenn etwas abgerissen wird, das die Menschen gewohnt sind. Ein leerer Platz löst gedrückte Stimmung aus.”
Grundsätzlich sei “die Gefahr, die vom Feuer ausgeht, ein beängstigendes Thema für Menschen”, sagte Loew. Er erinnerte an die Zerstörung des World Trade Centers am 11. September 2001 durch Terroranschläge. “Wenn man erlebt, dass ein solches Gebäude brennt, verunsichert das in besonderem Maße.” Der moderne Mensch erlebe solche zerstörerischen Brände – wie etwa auch den Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame im Jahr 2019 – indes viel seltener als der mittelalterliche Mensch. “Damals sind ständig Kirchen abgebrannt.”
Es sei typisch für die beharrende Natur des Menschen, dass er nach der Zerstörung eines Gebäudes etwas möglichst wieder so wie vorher aufbauen wolle. “Der Mensch braucht Kontinuität.” Manchmal würden solche Entscheidungen sogar gegen jede Vernunft getroffen. “Zum Beispiel, wenn man die zerstörten Häuser im Ahrtal genauso wie vorher aufbaut – und in die nächste Flutkatastrophe hinein”, sagte Loew.
Die im 17. Jahrhundert gegründete Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar, die Johann Wolfgang von Goethe jahrelang geleitet hatte, war am 2. September 2004 durch einen Brand schwer beschädigt worden. Tausende wertvolle Bücher, Musikalien sowie Gemälde wurden vernichtet.