Artikel teilen:

Trauer, Entsetzen und Asyldebatte: Die Folgen des Solingen-Anschlags

Auf Trauer und Entsetzen über das islamistische Verbrechen in Solingen folgten eine hitzige Asyldebatte und Maßnahmenpakete von Bund und Land.

Gedenktafel nach Terroranschlag in Solingen
Gedenktafel nach Terroranschlag in SolingenImago / Tim Oelbermann

Menschen tanzen und feiern vor einem Musikzelt ausgelassen das 650. Jubiläum der Stadt Solingen. Sekunden später machen sich beim „Fest der Vielfalt“ Panik und Entsetzen breit: Ein junger Mann sticht mit einem Messer gezielt auf Besucher ein und versetzt die Stadt in einen Schockzustand. Eine Frau und zwei Männer im Alter von 56 und 67 Jahren sterben, zehn Menschen werden teils schwer verletzt. Mutmaßlicher Täter ist ein junger Islamist. Das terroristische Verbrechen vom 23. August 2024 verändert das Leben vieler Menschen – und hat weitreichende politische Folgen.

Issa al H., der als Asylbewerber aus Syrien nach Deutschland kam, muss sich seit Mai vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf für den Anschlag verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft dem heute 27-Jährigen dreifachen Mord und zehnfachen versuchten Mord vor. Sie geht von einer terroristischen Motivation aus, al H. sei Mitglied der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS). Am ersten Prozesstag gesteht der Angeklagte die Taten, eine Mitgliedschaft im IS lässt er aber zunächst offen. Das Urteil soll im September gesprochen werden.

Solingen-Anschlag löst Diskussion über Migration aus

Der Angeklagte kam Anfang 2023 nach Deutschland. Weil er über Bulgarien in die EU einreiste, hätte er nach der Dublin-III-Regel eigentlich wieder dorthin abgeschoben werden sollen. Ein Versuch scheiterte, weil al H. an dem Tag nicht in der Einrichtung angetroffen wurde, weitere Anläufe wurden nicht konsequent verfolgt. Diese Erkenntnisse führten zu einer hitzigen Diskussion über die deutsche Flüchtlingspolitik, Migration und Asylverfahren. Auf Landesebene stand besonders Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) in der Kritik. Der Landtag richtete einen Untersuchungsausschuss ein, um strukturelle Defizite bei Rückführungen und Abschiebehaft sowie mögliche Versäumnisse und Fehlverhalten der Landesregierung zu prüfen.

Große Anteilnahme der Bevölkerung nach dem Solingen-Attentat an der Gedenkstätte (Archivbild)
Große Anteilnahme der Bevölkerung nach dem Solingen-Attentat an der Gedenkstätte (Archivbild)Imago / epd

Forderungen nach einem grundlegenden Aufnahmestopp von Menschen aus Syrien und Afghanistan sowie nach Abweisungen an den deutschen Grenzen wurden laut. Sozial- und Migrantenorganisationen kritisierten die aufgebrachte Stimmung. Migranten würden unter Generalverdacht gestellt, kritisierte etwa die Diakonie. Der Bonner Politikwissenschaftler Volker Kronenberg ordnet den Anschlag von Solingen in eine Reihe mit anderen Städten wie Mannheim, Magdeburg oder Aschaffenburg ein, die durch ähnliche Anschläge erschüttert wurden. „Diese Ereignisse haben das gesellschaftliche Klima signifikant verändert, auch wenn die Hintergründe jeweils unterschiedlich waren“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Davon profitiert habe die AfD bei der Bundestagswahl im Februar.

Solingen-Anschlag prägt politische Debatten in NRW nachhaltig

„In dieser politisch-psychologischen Gemengelage haben aber Umfragen auch gezeigt, dass viele Menschen finden, Humanität und Asyl gehörten zu unserer politischen Kultur“, betont der Politologe der Uni Bonn. Vor allem in NRW hätten der Anschlag und seine Hintergründe die politische Debattenlage verändert, sagte Kronenberg. Die Landesregierung habe Maßnahmen ergriffen, die die Grünen zuvor eher skeptisch betrachtet hätten. Mit einem schnell verabschiedeten Maßnahmenpaket wollte die Landesregierung für mehr Sicherheit und Prävention sowie eine rigidere Steuerung der Migration sorgen. Zu den Elementen gehören unter anderem mehr Befugnisse für Polizei und Verfassungsschutz, schärfere Abschieberegeln, die Beschleunigung von Asylverfahren und eine weitere Abschiebehaftanstalt.

Auch die damalige Ampel-Koalition im Bund einigte sich auf ein „Sicherheitspaket“: Verschärfungen des Aufenthalts- und Waffenrechts, eine Ausweitung von Messerverboten und mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden. Einige Pläne kamen nicht durch den Bundesrat, weil sie der Union nicht weit genug gingen. Zu den Verschärfungen im Asylrecht gehört die Entscheidung, dass Asylbewerber mit einigen Ausnahmen keine staatlichen Leistungen mehr bekommen, wenn nach der Dublin-Regel ein anderes europäisches Land für sie zuständig ist und die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich ist. Die neue Bundesregierung aus Union und SPD stieß weitere, umstrittene Verschärfungen an, etwa die Aussetzung des Familiennachzugs und Zurückweisungen auch von Asylsuchenden an deutschen Grenzen.

Solingen-Anschlag: Stadt kehrt langsam zur Normalität zurück

Die Stadt Solingen suchte den Weg zurück in die Normalität. Sie habe zunächst zur Ruhe kommen müssen, um das Geschehene zu verarbeiten, sagt Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD). „Wir gedenken und erinnern uns, wir kümmern uns um die Verletzten an Seele und Leib. Aber wir lassen uns die Art, wie wir leben, nicht nehmen.“ Bei einer Sommerparty feierten Anfang August erstmals seit dem Messerangriff vor einem Jahr wieder Zehntausende Menschen in der Innenstadt.