Wie sollten Pilger ihren Weg angehen? Ein Experte gibt Ratschläge – und erklärt, wann dieses Brauchtum gefährlich werden kann.
Technikverzicht und Offenheit für Veränderung – das sollten angehende Pilger mit auf den Weg nehmen. “Pack nicht zu viel in den Rucksack. Man muss das Handy nicht zu Hause lassen, es reicht aber, einmal am Tag drauf zu gucken”, sagte der Religionssoziologe Michael Ebertz in einem am Montag veröffentlichten Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Ebertz ergänzte: “Mach dich offen für neue Eindrücke und Erfahrungen mit anderen und mit dir selbst, auch mit Unplanbarkeiten. Rechne damit, dass du dich verändern kannst, und lass es zu.”
Ebertz ist emeritierter Professor der Katholischen Hochschule Freiburg. Mit Kollegen hat er eine Tagung im bayerisch-schwäbischen Donauwörth organisiert, die sich vom 11. bis 13. September mit dem Wandel des Pilgerns im heutigen Europa befasst.
Vorab sagte Ebertz: “Früher war Pilgern Glaubenssache und kirchlich gerahmt, heute gibt es viel mehr eigene Motivationen.” Es gebe etwa Krisenpilger, die nach einer Krankheit oder Scheidung Kommunikation wie in einer Selbsthilfegruppe suchten, und Auszeitpilger, die auf eine Unterbrechung ihres drögen Alltags hofften. “Überdies wird die Publikumsperspektive immer wichtiger. Viele Pilger berichten heute digital von ihrer Reise. Das Smartphone wird zum neuen Pilgerstab.”
Ebertz sprach auch Risiken an. Es gebe viele Idealisierungen und Überfrachtungen des Pilgerns. “Dass man sozusagen als neuer Mensch zurückkommt. Was geschieht denn, wenn solche Pläne enttäuscht werden, wenn eine ersehnte Heilung ausbleibt? Dem amerikanischen Sozialpsychologen Leon Festinger zufolge können durch gegensätzliche Erfahrungen – Ich pilger doch, weshalb hilft Gott mir nicht – Dissonanzen entstehen.”
Diese müssten reduziert werden, weil das Leben mit ihnen zu unangenehm werde, so Ebertz. “Das religiöse System hält dafür viele Deutungsmöglichkeiten bereit: Die Heilung läuft vielleicht schon, ohne dass du es merkst. Oder: Der göttliche Ratschluss ist unerforschlich, wer weiß, was Gott mit dir vorhat. Oder: Du warst nicht fromm genug, musst mehr Rosenkranz beten, noch mal nach Lourdes reisen. Da kann Pilgern oder Wallfahren dann gefährlich werden, indem es Menschen in Abhängigkeiten oder in neue Krisen wie Depressionen bringt, weil sie nicht mehr gelassen in den Alltag zurückfinden.”