Tickende Zeitbombe? Die Babyboomer gehen in Rente

Gespräche zwischen Generationen sind nicht leicht. Jüngere neigen dazu, den Babyboomern hemmungslosen Konsum vorzuwerfen. Während die Boomer den Jüngeren vorhalten, Null Bock auf Arbeit zu haben. Ein Annäherungsversuch.

Hilfe, die Babyboomer kommen. Handwerk, Handel und Industrie warnen vor wachsender Personalnot, weil sich große Alterskohorten in den Ruhestand verabschieden. Arbeitgeber und Rentenversicherung schimpfen, dass diese Generation riesige Löcher in die Rentenkasse reißt. Vor einer tickenden Zeitbombe warnen Gesundheitsexperten: Die Babyboomer liefen blind in die Pflegekatastrophe. Und das Manager Magazin veröffentlichte kürzlich eine Kolumne unter dem Titel „Wir Babyboomer haben es vergeigt“. Den derzeit beklagenswerten Zustand Deutschlands hätten insbesondere die Babyboomer zu verantworten.

2024 ist ein Scheitelpunkt erreicht. Denn 1964 war der Höhepunkt des Babybooms. Vor 60 Jahren kamen hierzulande 1,36 Millionen Kinder auf die Welt, so viele wie später nie wieder. Ein wahrer Kindersegen. Zum Vergleich: 2022 gab es in Deutschland 730.000 Geburten, also gut halb so viele.

Boxer Henry Maske und Fußballweltmeister Jürgen Klinsmann gehören zum Jahrgang 1964. Auch Schauspielerin Martina Gedeck und ihr Kollege Jan Josef Liefers sowie der Komiker Hape Kerkeling und der Philosoph Richard David Precht. Eine Kindheit und Jugend zwischen Prilblumen, Bandsalat, Schwarzweißfernsehen und Wirtschaftswunder.

Die Jüngeren der Babyboomer bereiten sich mittlerweile auf den Ausstieg aus dem Erwerbsleben vor, die Älteren sind schon in Rente. Die Geburtsjahrgänge 1955 bis 1970 – typische Vornamen waren Angelika, Sabine, Susanne, Thomas, Frank oder Jürgen – stellen bald 30 Prozent der Bevölkerung.

Doch kann man von einer „Generation Babyboomer“ sprechen? Der Kasseler Soziologe Heinz Bude sieht zumindest einige Gemeinsamkeiten: Großeltern ins NS-System verstrickt, Eltern noch im Krieg sozialisiert, sie selbst im stetig zunehmenden Wohlstand aufgewachsen, umschrieb er gemeinsame Grunderfahrungen der Alterskohorte.

Die Bildungsreform der 70er-Jahre habe den Boomern einen teilweise rapiden Aufstieg und schließlich auch finanzielle Gutsituiertheit beschert. Das Gefühl, dass es aufwärts geht, war sehr präsent. Dabei seien sie lange Zeit politisch sehr engagiert gewesen – Stichwort Willy Brandt und die Friedensbewegung – und hätten daran geglaubt, dass man die Welt besser machen könne. Ideale wie multikulturelle Offenheit, internationale Gerechtigkeit und Frieden wurden an die Kinder weitergereicht.

Die Boomer verbinde zugleich das Gefühl, dass es zu viele von ihnen gibt, schreibt Martin Rupps. Den Konkurrenzdruck spürten sie schon in überfüllten Klassenzimmern und später auf dem Arbeitsmarkt, so der Autor des Buchs „Wir Babyboomer“. Anderen Autoren zufolge reagierten sie darauf, indem sie Workaholics wurden, diszipliniert und wohlstandorientiert.

Laut Bude haben die Baby-Boomer aber auch gehörige Skepsis entwickelt. Die Erfahrungen von Ölkrise, AIDS, Tschernobyl und der Kaltem Krieg hätten diese Generation in einer entscheidenden Phase ihrer Biografie gelehrt, dass nichts sicher sei.

Kritik an den Babyboomern übt vor allem die Klimabewegung: Sie hätten ein Leben lang hemmungslos konsumiert und damit den Planeten an die Wand gefahren. Was viele der Betroffenen deutlich anders sehen: Abi-Reisen nach Barcelona oder Kurztrips zum Ballermann waren erst bei späteren Jahrgängen Usus, genau so wie der tägliche Fleischverzehr.

Dass der Babyboom in den 60er Jahren an ein Ende kam, wird zumeist dem „Pillenknick“ zugeschrieben. Bekamen Frauen in Deutschland 1960 durchschnittlich 2,53 Kinder, schwankte die Geburtenhäufigkeit ab Mitte der 1970er Jahre jahrzehntelang um den Wert von 1,4.

Doch Soziologen und Bevölkerungsforscher bezeichnen diese Erklärung als zu eindimensional. Schließlich war die Pille in der Bundesrepublik schon seit 1961 auf dem Markt. Allerdings stiegen die Verschreibungszahlen erst um 1970 deutlich. Ebenso wichtig dürfte ein umfassender gesellschaftlicher Wertewandel gewesen sein: Verstärkte Bildung von Mädchen und Frauen, ein Wandel der Familien- und Lebensformen sowie ein Anstieg des Heirats- und Gebäralters und mehr Eigenverantwortung und Gleichstellung von Frauen sorgten mit dafür, dass Familie und Kinder zu einer wählbaren Option unter vielen geworden sind.