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Theologin: Gedenken an Anschlag von Solingen weckt gemischte Gefühle

Die Superintendentin des evangelischen Kirchenkreises Solingen, Ilka Werner, sieht dem ersten Jahrestag des Terroranschlags in ihrer Stadt mit gemischten Gefühlen entgegen. „Die Gefühlslage ist schon ambivalent“, sagte Werner dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit Blick auf die am kommenden Samstag (23. August) anstehende Gedenkveranstaltung. Durch das diesjährige Stadtfest am ersten August-Wochenende und den aktuell laufenden Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter sei die Tat des vergangenen Jahres „wieder recht präsent“ geworden.

Manche Solinger müssten sich überwinden, zu dem Gedenken zu gehen, vermutet die Theologin. In der öffentlichen Wahrnehmung habe der Fronhof, auf dem der islamistische Anschlag verübt wurde, „aber nichts Bedrohliches mehr“. Das Gedenken an die Opfer biete den Menschen gleichwohl die Gelegenheit, über das Geschehen zu sprechen und sich darüber auszutauschen, sagte Werner, die seit 2013 an der Spitze der evangelischen Kirche in Solingen steht.

Auch wenn es keinen „idealtypischen Umgang mit dem Vorfall“ gebe, könnten die überlebenden Opfer und Angehörigen beim Gedenken am Samstag „ihre Befangenheit und Betroffenheit“ zum Ausdruck bringen. Solche Erinnerungen und Gefühle seien wichtig und sollten „weder verdrängt noch übermäßig dramatisiert“ werden. Werner war in der Tatnacht selbst als Notfallseelsorgerin im Einsatz und hatte Betroffene betreut.

Erfreulich nannte die Superintendentin, dass es zivilgesellschaftlichen Gruppen in Solingen gelungen sei, die Tat und deren Folgen in der Öffentlichkeit aufzugreifen und zu verarbeiten – ähnlich wie nach dem rechtsextrem motivierten Brandanschlag auf das Haus der türkischen Familie Genç von 1993. Dazu gehöre neben zahlreichen Veranstaltungen auch ein Gedenkstein, der im Februar am Fronhof eingeweiht wurde.

Dass es in der politischen Diskussion immer wieder darum gegangen sei, wie es „nach Solingen“ weitergehen solle, empfindet Werner als „schrecklich“. Schließlich lebe man weiterhin in der Stadt und befasse sich hier mit Themen wie Zuwanderung und Integration. Insofern sei das Thema auch weiterhin nicht abgeschlossen. Die Theologin sieht „politische Grundfragen noch nicht ausreichend“ geklärt.

Man müsse sich als Gesellschaft die Frage stellen, wie man mit Menschen umgehen wolle, die vor Kriegen oder den Folgen des Klimawandels nach Deutschland flüchten, sagte sie. Diesen Geflüchteten müsse man „eine Perspektive eröffnen und ihnen die Chance geben, sich in die Gesellschaft einzufügen“. Werner warnte vor Kürzungen im Sozialbereich, die zulasten der Integrationsarbeit und der Flüchtlingshilfe gehen.

Beim „Festival der Vielfalt“ am 23. August 2024 hatte als Asylbewerber nach Deutschland gekommener Syrer mit einem Messer drei Menschen getötet und mehrere verletzt. Dem heute 27-jährigen Beschuldigten wird vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf der Prozess gemacht, das Urteil wird im September erwartet. Die Anklage lautet auf dreifachen Mord, zehnfachen versuchten Mord sowie Mitgliedschaft in der Terrororganisation IS.

Am Samstag erinnern die Stadt und der Kirchenkreis am Tatort an die Opfer des Verbrechens. Erwartet werden auch Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und weitere Vertreter der Landesregierung. Um 21.37 Uhr – der Uhrzeit des Anschlags – gibt es eine Gedenkminute am Gedenkstein.