Gästebücher in den Kirchen haben ihren Ursprung bereits im Mittelalter, wie der Theologieprofessor Jürgen Bärsch erläutert. Doch auch im digitalen Zeitalter sind sie nach seiner Einschätzung keineswegs aus der Mode gekommen. Noch immer sei es Menschen ein Bedürfnis, handschriftlich ihre Anliegen zu hinterlassen, sagt der Professor für Liturgiewissenschaft der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Herr Bärsch, seit wann verewigen sich Menschen in Gästebüchern der Kirchen?
Jürgen Bärsch: Da kann man ganz weit zurückgehen. Schon im frühen Mittelalter haben Menschen in den Kirchen die Namen von Verstorbenen notiert und sogar in Altarplatten eingraviert. Mit dem Namen standen aus ihrer Sicht der Mensch und sein Anliegen vor Gott.
Es gibt zahlreiche Aufzeichnungen aus dem Mittelalter zum Totengedenken. Das sind entfernte Vorläufer der Tradition, in der später Gästebücher vor allem in besonderen Kirchen wie Wallfahrtskirchen ausgelegt wurden und bis heute werden. Auch in Kirchen, die Reisende in besonderer Weise zur Rast einladen, sind die Gästebücher verbreitet, zum Beispiel in Autobahnkirchen.
epd: Sie erwähnen Wallfahrtskirchen. Pilger waren oft von Kirche zu Kirche unterwegs. Wollten auch sie dort Spuren hinterlassen?
Bärsch: Auf jeden Fall. Auch da gibt es eine alte Kultur, wenn Sie an die Ex-Voto-Tafeln denken. Solche Tafeln wurden in Wallfahrtskirchen aufgehängt als Dank dafür, dass ein Gebetsanliegen erhört wurde. An diesen Tafeln lässt sich ablesen, mit welchen Nöten und Sorgen die Menschen in die Kirche kamen. Votivgaben wie Statuetten und Darstellungen etwa von Hand oder Bein wurden zum Dank für die Heilung von Gebrechen an den entsprechenden Körperteilen hinterlassen.
epd: Heutzutage kommen viele Menschen als Touristen in die Kirchen. Auch wenn sie nicht gläubig sind, verewigen sich manche dennoch in den Gästebüchern, warum?
Bärsch: Wenn Touristen zunächst zufällig solche ausgelegten Bücher wahrnehmen, führt das oft dazu, dass sie aus Neugierde darin blättern. Manche verspüren dann den Impuls, auch sich selbst mit einem Anliegen oder einem Gruß zu verewigen und damit zu signalisieren, dass sie dort gewesen sind.
In einer Zeit, in der wir digital immer wieder Spuren hinterlassen, vermitteln diese materiell greifbaren Formen noch einmal verlässlicher, wir könnten für die nachfolgenden Generationen sichtbar bleiben. Dabei spielt auch eine Rolle, dass mit der Hand geschrieben wird. Dahinter verbirgt sich der Versuch, sich in Erinnerung zu halten – anders als das im flüchtigen Internet der Fall ist.
epd: Jetzt schreiben Menschen ja durchaus persönliche Dinge in die Bücher, wieso trauen sie sich das?
Bärsch: Die Hemmschwelle, eigene Emotionen zu zeigen oder eigene Meinungen zu vertreten, hat insgesamt abgenommen. Das sieht man anonymisiert im Netz, leider oft mit negativen Auswirkungen. Es gibt darüber hinaus eine Zunahme von medialen Formaten wie Soaps oder Reality-TV, die ausschlachten, wenn Leute sich bekennen. Auch darum sinkt die Hemmschwelle, sich einer anonymen Öffentlichkeit mitzuteilen.
epd: Können digitale Formate denn die Bücher eines Tages ablösen?
Bärsch: Das kann durchaus sein. Das gibt es vermutlich bereits. Aber der Kirchenraum strahlt wie auch ein Museum Tradition aus, in Museen finden sich ja auch oft Gästebücher. Da passt es dazu, sich ganz nach alter Schule handschriftlich mitzuteilen. Die Handschrift ist ein Spiegelbild der Individualität. Eine solche Präsenz kann ein digitales Format nicht so leicht ersetzen.
epd: Was passiert mit den Büchern, wenn sie vollgeschrieben sind?
Bärsch: In der Regel werden sie zumindest über eine gewisse Zeit archiviert. In den Kirchen haben die Gästebücher teilweise als Fürbittbücher noch eine weitere Funktion. Manchmal lesen Menschen aus den Gemeinden oder auch aus Klostergemeinschaften die Anliegen, die andere dort eingetragen haben, vor und bringen sie im Gebet vor Gott. Menschen lassen ihre Gedanken und Wünsche dann auch in der Hoffnung da, dass andere sie im Gebet aufnehmen.
epd: Wie wird mit bedenklichen Einträgen wie etwa Beleidigungen und Schimpfworten umgegangen?
Bärsch: So etwas kommt natürlich vor, aber bei weitem nicht in derselben Häufigkeit, wie dies bei Posts im Netz passiert. Es gibt auch da eine Hemmschwelle, zumal die Einträge ja handschriftlich sind. Das hinterlässt einen anderen und viel individuelleren Fingerabdruck als anonyme Äußerungen im Netz.
epd: Haben Sie selbst schon mal in ein Gästebuch geschrieben?
Bärsch: Ja, habe ich. Ich erinnere mich an eine kleine Dorfkirche in Schleswig-Holstein, in der ich durch Zufall gelandet war. Diese Kirche strahlte eine innere Ruhe aus. Es war schön, dort zu sitzen und ruhig werden zu können. Dafür habe ich mich dann mit meinem Eintrag bedankt.