Theologe und Ex-Schiri: Fußball ist große Persönlichkeitsschule

Er war als Schiri auf dem Weg in die Bundesliga, entschied sich dann aber doch für die Theologie. Auch als Professor ist Thomas Gremsl weiterhin offizieller Schiedsrichter-Beobachter und empfindet das als gute Kombi.

Der österreichische Theologe und frühere Spitzen-Schiedsrichter Thomas Gremsl sieht viele Parallelen zwischen seiner Arbeit als Ethiker und seinem früheren Job als Schiedsrichter. “Auf dem Fußballplatz habe ich gelernt, wie man mit Menschen umgeht und wie man Konfliktsituationen meistert”, sagte der Professor für Ethik und Gesellschaftslehre an der Theologischen Fakultät der Universität Graz im Interview des Portals katholisch.de (Freitag): “Der Fußball ist wirklich eine große Persönlichkeitsschule, vor allem, wenn man als Schiedsrichter tätig ist.”

Beim Fußball könne man lernen, “wie ein soziales Gefüge funktioniert, wie man mit Stress unter hohen körperlichen Belastungen umgeht und wie man dabei einen kühlen Kopf behält”, fügte er hinzu.

Allerdings gebe es auch Grenzen und ethische Konflikte, ergänzte Gremsl: “Angenommen, ich gebe unberechtigterweise einen Strafstoß und daraus folgt ein Tor. Wenn mir dann in der Halbzeitpause klar wird, dass das eine Fehlentscheidung war, könnte ich argumentieren, dass ich im Sinne einer ausgleichenden Gerechtigkeit der gegnerischen Mannschaft nun auch einen Vorteil geben müsste. Aber das wäre sportlich unfair.”

Die Einführung des VAR, des Videoassistenten, sieht der Theologe skeptisch, zumal er nicht glaube, dass der Fußball dadurch wirklich fairer und gerechter wird: “Der VAR kostet sehr viel Geld, aber der Nutzen ist demgegenüber relativ gering, wie Studien zeigen. Schiedsrichter auf dem Niveau, in dem der VAR eingesetzt wird, sind sehr exakt in ihren Entscheidungen. Durch den VAR wird die Entscheidungsrichtigkeit lediglich im Bereich von 5,8 bis 6,2 Prozent erhöht.”

Positiv dagegen bewertete Gremsl die Neuregelung zur Fußball-EM, nach der nur noch der Mannschaftskapitän mit dem Schiedsrichter reden und sich beschweren darf: “Dieses ständige Kritisieren von Spielern oder Funktionären, obwohl sie wissen, dass es nichts bringt, konnte ich noch nie nachvollziehen. Wir müssen diese oftmals auch gespielte Empörungen eindämmen.” Der Schiedsrichter werde sonst immer mehr zum Sündenbock.

Die Neuregelung könne auch mancher “Unkultur” entgegenwirken. Der Fußballplatz müsse ein Ort für die ganze Familie bleiben: “Ich habe es oft genug erlebt, dass Eltern mit ihren Kindern am Fußballplatz waren und selbst wüst rumgeschimpft haben. Gewalt und Fankrawalle unterbinden wir ja auch. Aber wir haben auch die Aufgabe, die verbale Gewalt zu unterbinden, gerade im Kinder- und Jugendfußball.”