Kann man sich über die Tötung von Pavianen empören, aber gleichzeitig Fleisch aus Massentierhaltung essen? Der Theologe Michael Rosenberger findet das problematisch. In der aktuellen Diskussion plädiert er für Reflexion.
Die Nachricht sorgt für Aufsehen: Im Tiergarten Nürnberg sollen Paviane einer seltenen Art getötet werden, um die Population zu begrenzen. Das Gehege sei für so viele Tiere nicht ausgelegt, es komme vermehrt zu Konflikten, so der Tiergarten. Andere Möglichkeiten seien ausgeschöpft. Die Empörung ist groß. Mittlerweile haben sich Einrichtungen gemeldet, die die Tiere vielleicht übernehmen können. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit dem Linzer Moraltheologen Michael Rosenberger (61) darüber. Die Diskussion sagt seiner Ansicht nach viel darüber aus, wie die Gesellschaft mit Tieren umgeht – und wo Nachbesserungsbedarf besteht.
KNA: Herr Professor Rosenberger, das Töten und Verfüttern anderer Tierarten ist weitgehend anerkannt. Warum brach bei den Pavianen eine Entrüstungswelle los?
Rosenberger: Ich denke, das liegt an der Ähnlichkeit der Paviane zum Menschen. In diesem Fall empfinden wir beim Töten einfach eine größere Hemmung. Aber wenn wir Tiere, die uns besonders nahestehen, achtsamer behandeln, muss man natürlich vorsichtig sein, dass man nicht nur von dem Gefühl her urteilt.
KNA: Für den Tiergarten geht es um Artenschutz und artgerechte Haltung, gerade weil die Guinea-Paviane bedroht sind. Demgegenüber steht das Leben anderer Tiere. Kann man das gegeneinander aufrechnen?
Rosenberger: Artenschutz und individueller Tierschutz gehen nicht immer Hand in Hand. Bisweilen sind wir als Menschen gezwungen, Entscheidungen für das eine und zugleich gegen das andere zu treffen.
KNA: Aber wenn wir den Tieren erst ihren Lebensraum wegnehmen, dann im Zoo für Artenschutz sorgen müssen und dafür wieder einzelne Tiere töten – ist das nicht doppelt unfair?
Rosenberger: Es stimmt, dass die Menschen den Tieren sehr viel Lebensraum nehmen. Das ist ein riesiges Problem, an dem die Weltgemeinschaft zu arbeiten hat. Ein Zoo kann sich öffentlich dafür starkmachen, dass Arten- und Biotopschutzprogramme betrieben werden. Aber er kann diese nicht direkt in den südlichen Ländern durchführen, weil da häufig politische und wirtschaftliche Fragen dahinterstehen. Der Zoo kann aber dafür sorgen, dass seine Tiere möglichst artgerecht gehalten werden – wohl wissend, dass deren Leben in Freiheit anders wäre.
KNA: Warum fühlt es sich für viele Menschen falsch an, Paviane töten zu lassen, während sie bestimmt nicht alle selbst Vegetarier oder Veganer sind? Ist das Doppelmoral?
Rosenberger: In gewissem Sinne ja. Es gibt keinen guten Grund zu sagen: Der Pavian darf nicht getötet werden, aber das Schwein schon, weil wir es gern essen möchten. Das Schwein ist auch hochintelligent. Vom Reichtum des Könnens der Tiere aus betrachtet wird es ziemlich eng, eine Grenze zu ziehen. Der Zoo sollte klarmachen, dass er den Schritt aus der Not heraus tut. Die Tierpfleger haben ja auch eine emotionale Bindung zu den Tieren aufgebaut und leiden mit. Umgekehrt sollte jeder, der sich jetzt empört, sich selbst fragen, wie er es mit seinem Fleischkonsum hält und ob er da auch auf die Bedingungen schaut, unter denen die Tiere gelebt haben.
KNA: Was kann die Gesellschaft aus solchen Debatten für den Umgang mit Tieren lernen?
Rosenberger: Sie sind ein gutes Beispiel dafür, dass die Sensibilität für das Tierwohl über die Jahre gewachsen ist. Man nimmt nicht mehr einfach hin, wie mit Tieren umgegangen wird. Daraus gilt es nun Konsequenzen zu ziehen. Die Tiere in den Zoos sind da aber weniger die primäre Zielgruppe. Vielmehr geht es um die Haltung von Nutztieren und um Versuchstiere. Die sind rein zahlenmäßig deutlich mehr. Außerdem wird mit ihnen viel schlechter umgegangen.
KNA: Wie also künftig mit Tieren umgehen, für die keine anderen Lösungen wie Abgabe oder Auswilderung möglich sind?
Rosenberger: Tiere zu töten ist immer nur der letzte Ausweg. Bei Zoo- wie Haustieren ist das Problem, dass man sie nicht einfach in die freie Wildbahn zurückgeben kann, weil sie sich dort nicht mehr richtig verhalten könnten. Gerade war übrigens in den Nachrichten, dass die Tierheime momentan überlaufen, weil so viele Hunde und Katzen abgegeben werden. Das ist ein Skandal. In der Regel wird ein Tier nicht abgegeben, weil die Leute die Kosten für die Haltung nicht mehr aufbringen können, sondern weil sie sich irgendwann nicht mehr um dieses kümmern wollen. Deshalb sollte gut überlegt sein, ob man sich ein Haustier anschafft und welche Verantwortung man dafür hat.
KNA: Sollten Zoos die Pflicht haben, transparent über ihre Entscheidungsprozesse zu informieren, so wie der Tiergarten Nürnberg das jetzt gemacht hat?
Rosenberger: Ich denke, dass das heute gar nicht anders möglich ist. Zoos leben sehr stark vom Wohlwollen der Bevölkerung. Daher stehen sie unter einer sehr genauen Beobachtung. Stellen Sie sich vor, Sie würden 20 von den 45 Pavianen heimlich töten und dann kommen die Leute und fragen, wo die hingekommen sind. Da wäre der Skandal um ein Vielfaches größer. Ein offener Umgang mit der Problematik wäre auch zukunftsweisend für andere Einrichtungen, die Tiere halten.
KNA: Was schlagen Sie vor?
Rosenberger: Transparenz ist angesagt. Deutlich machen, was man tut und sich dabei noch mehr anstrengen für eine qualitätvoll gestaltete Tierhaltung. In der sogenannten Massentierhaltung werden Tiere meist hermetisch gegenüber der Öffentlichkeit abschottet. Das hat mit Hygienevorschriften zu tun, aber auch damit, dass die Öffentlichkeit nichts mitbekommen soll. Wenn dann Tierschützer illegal in solche Ställe eindringen und filmen, werden die Zustände offensichtlich und es kommt zu Auseinandersetzungen. Letztlich aber geht es um ein besseres Wohl für die Tiere.