Die Juden als “Gottesmörder” – ein Wort mit tödlicher Geschichte. Ein Theologe zeigt, wie es aus der Bibel bis in Hitlers Reden wanderte. Und warum solche Ideen noch immer kursieren.
Der katholische Theologe und Autor Simone Paganini sieht Wurzeln des Antisemitismus auch in der Bibel. Gerade im Johannes-Evangelium hätten viele judenfeindliche Vorstellungen ihren Ursprung, die später andere wie die Nazis für ihre Zwecke instrumentalisiert hätten, sagte er dem Kölner katholischen Portal domradio.de. Den Autoren dieser erst später geschriebenen Passagen sei es vor allem darum gegangen, die Römer von der Schuld an Jesu Tod reinzuwaschen und stattdessen die Juden zu “Gottesmördern” zu machen.
Dazu gehöre etwa die Passage über Juden, die vor Pilatus schreiend Jesu Tod gefordert hätten mit der Aussage “Sein Blut soll über uns kommen!”. Es gebe viele solcher Sätze, “die nicht historisch sind, sondern schlicht dazu dienen, die Verantwortung in diesem Prozess von den Römern hin zu den Juden zu verschieben”, betonte der in Aachen lehrende Alttestamentler mit Blick auf den “Gottesmörder”-Vorwurf.
“Dieser historisch gesehen absolut schwachsinnige Vorwurf zieht sich innerhalb des christlichen Antisemitismus durch die Geschichte hindurch bis in die Nazizeit”, fügte Paganini hinzu: “Er taucht sowohl in den ersten Reden Adolf Hitlers auf als auch in seinem ‘Mein Kampf’. Historisch absolut nicht haltbar und trotzdem immer wieder wiederholt.”
In seinem Buch “Warum sind immer die Juden schuld?” habe er festgestellt, dass nur sehr wenige Dinge sich so wie ein roter Faden durch die Geschichte der Menschheit zögen wie der Antisemitismus, fügte Paganini hinzu. Das beginne schon mit der Kollektivierung, also der Rede von “den Juden”. Es gehe in der Regel nicht um konkrete jüdische Menschen, sondern um “die Juden an sich”.
Hinzu komme ein ausgeprägter “Sündenbock-Automatismus”, ergänzte der Theologe. Egal was passierte – von der Pest im Mittelalter bis zur Wirtschaftskrise zwischen den Weltkriegen – immer habe man jemanden gebraucht, der die Schuld trägt: “Das waren die Juden. Diese Art der Schuldzuweisungen gipfelte in der Schoah. Aber auch vorher waren Juden deswegen in der Geschichte immer wieder diskriminiert, verfolgt und sogar ermordet worden.”
Während andere Gruppen oft diskriminiert würden, weil sie als minderwertig angesehen würden, würden Juden in der Regel diskriminiert, “weil sie als mächtiger, reicher, klüger und daher als gefährlicher wahrgenommen wurden und werden”, erklärte Paganini weiter: “Das zeigen Verschwörungsmythen, nach denen Juden die Reichsten sind und als solche die Weltpolitik beeinflussen, gar kontrollieren.” Vieles von dem, was man heute gegen den Staat Israel höre, gehe auch in diese Richtung.