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Theater am Himmel

„Viele zeitgenössische Künstler haben sich unabhängig voneinander von barocken Himmelsformationen inspirieren lassen,“ sagen die Kuratorinnen Isabel Schenk-Weininger und Petra Lanfermann. Deren Werke stehen in spannungsvollen Bezug zu historischen Werken mit Himmelsdarstellungen, die wie Wolken locker an den Wänden gruppiert sind. Die Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen widmet diesem selten beleuchteten Phänomen ab diesem Samstag eine Ausstellung mit 44 künstlerischen Positionen. Wolkendarstellungen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Epochen der Kunst.

Erarbeitet wurde das Konzept zusammen mit Kristin Schrader von der Kunsthalle Emden, in der die Ausstellung zuvor zu sehen war. „Beide Häuser haben Werke aus ihren Sammlungen beigesteuert“, beschreibt Lanfermann die Kooperation. Unter dem Titel „Dem Himmel so nah – Wolken in der Kunst“ geht die Schau den künstlerischen Wolkenformationen auf den Grund – vom Mittelalter bis heute.

Die Künstlerin Anne Meyer installiert seit Tagen ihr Werk. „Ich habe in Japan Papier entdeckt, aus dem Visitenkarten erstellt werden. Damals wusste ich noch nicht, wozu ich das einmal brauchen würde.“ Das im Jahr 2000 entstandene Werk „leicht bewölkt“ besteht aus unzähligen Kärtchen, sie schätzt an die 500, die mit Wolken bemalt oder mit Äußerungen berühmter kreativer Menschen wie Leonardo da Vinci beschriftet sind. Schwerelos hängen sie mit Nägeln befestigt einige Zentimeter vor der Wand.

Besonders die moderne Kunst sticht mit innovativen Konzepten hervor. „Das Werk “Revelation„ (deutsch: Offenbarung) von Bjørn Melhus bezieht sich auf die biblische Untergangsgeschichte der Apokalypse des Johannes,“ erklärt Schenk-Weininger die Videoinstallation. Am Anfang sieht alles ganz friedlich aus mit zwitschernden Vögeln und einem blühenden Lichtung. Doch dann ertönt das beängstigende Geräusch eines Sensenmanns. In poppiger Ästhetik mit grellen Farben erscheinen die apokalyptischen Pferde in einem technisierten Himmelsszenario mit durch das Bild schießenden Patronenhülsen.

In „Daily Sea“ präsentiert Simon Roberts ein zweiminütiges Video aus 365 täglichen Aufnahmen desselben Sees. Eine davon bleibt länger als die anderen stehen – an diesem Tag wurde in England bei den Corona-Toten die Grenze von 100.000 erreicht. Gerhard Richter kombiniert in „Wolken 1969“ verschiedene Wolkenformationen zu einer neuen Bildstruktur. Hiroyuki Masuyama legt für seine „Gebirgslandschaft mit Regenbogen (nach Caspar David Friedrich, 1810)“ mehrere hundert Fotografien von historischen Schauplätzen der Romantik übereinander.

Umgeben sind die modernen Werke von Himmelsdarstellungen vergangener Epochen.„Im Mittelalter wurde Gott als strafend betrachtet. Dementsprechend bestraft er die Folterer der heiligen Katharina in einem Dürerstich mit einer Wetterkatastrophe“, erklärt Schenk-Weininger vor den Bildern der frühen Neuzeit. Dem gegenüber stehen theatralische Barockgrafiken mit mythologischen Szenen, darunter mit Jupiter und Juno, zärtlich umspielt von Zuckerwatte gleichenden Barockwölkchen. „Die streiten sich gerade, wer am meisten Lust empfindet“, so Schenk-Weininger.

Die Forschungen in der Romantik zu Wolken von Künstlern und Wissenschaftlern sind die Grundlage für weitere Wolkendarstellungen. Im Expressionismus dienen Wolken als Stimmungsträger wie bei den Farbexplosionen Emil Noldes.

Poetische Wandtexte führen durch die Ausstellung: „Himmelssphären“ versammelt Darstellungen des Göttlichen, „Dunkel dräuend“ zeigt bedrohliche Himmelslandschaften, und „Von Menschen gemachte Wolken“ thematisiert die Eingriffe des Menschen in die Natur. Zu den vertretenen Künstlerinnen und Künstlern zählen unter anderem Yoko Ono, Carl Spitzweg, Bruce Nauman und Erich Heckel. (2988/20.11.2025)