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Technischer Kniff kann Windows-Rechner vor dem Schrottplatz bewahren

Den alten Rechner entsorgen, weil Windows nicht mehr läuft? Das muss nicht sein. Das alternative Betriebssystem Linux und seine hilfsbereite Community schenken Rechnern ein zweites Leben. Ein Selbstversuch.

Es begann vor einigen Monaten: Beim Start des Laptops ploppten Warnmeldungen auf. Der Support des Betriebssystems Windows 10 werde im Herbst eingestellt – und der Rechner erfülle die technischen Voraussetzungen für die Nachfolger-Version nicht. Was für ein Schreck! Das Gerät funktioniert einwandfrei, kann alles, was es können soll und hat die Jahre seit der Anschaffung bestens verkraftet. Und jetzt soll es zum Elektroschrott?

Martin van Baal kennt sich mit Computern aus – und weiß, dass es längst Alternativen zu Windows gibt. In der Datenburg, einem “Hackspace” am Rande der Bonner Altstadt, empfängt er zur kostenlosen Technik-Sprechstunde, um dem ausgemusterten Laptop ein zweites Leben zu schenken.

Dabei hilft Linux, ein alternatives Betriebssystem. Linux ist Open Source, das bedeutet, dass der Programmcode offen verfügbar ist. Wer möchte, kann den Code weiterverwenden oder an die eigenen Bedürfnisse anpassen.

Das ist allerdings schon etwas für Fortgeschrittene. Für Anfänger gibt es verschiedene Versionen des Betriebssystems, kostenlos und fertig programmiert im Netz. Doch welche Version soll es sein?

Van Baal ist auf diese Fragen vorbereitet – er bekommt sie häufiger gestellt, wenn er Menschen mit der Einrichtung von Linux hilft. Deshalb hat er drei verschiedene Laptops mit drei verschiedenen Versionen des Betriebssystems mit dem niedlichen Pinguin im Logo in der Datenburg aufgebaut – und lädt zum Ausprobieren ein.

Die Versionen – oder fachsprachlich: Distributionen – tragen klangvolle Namen wie Ubuntu, Fedora oder Mint. Während Mint und Ubuntu bei der Bedienung stark an Windows erinnern, ähnelt sie bei Fedora eher der eines Smartphones oder Tablets. Eine Empfehlung könne man nicht so einfach aussprechen, da komme es auf die persönlichen Bedürfnisse des Nutzers an, erklären van Baal und die weiteren Besucher der Datenburg, die an diesem Abend nach und nach eintrudeln.

Denn die Linux-Sprechstunde ist gleichzeitig der offene Abend der Datenburg. Wer sich für Technik oder Netzpolitik interessiert, findet hier zahlreiche Gleichgesinnte. Während diesseits des Tischs Linux installiert wird, baut jenseits des Tischs jemand einen alten Laptop auseinander. Viele tippen still vor sich hin, eine kleine Gruppe lärmt am Flipper-Automaten, eine andere genießt den Sommerabend auf dem Balkon.

Die Sorge, in Gegenwart zahlreicher Computer-Nerds mit fehlendem Fachwissen negativ aufzufallen, zerstreut sich rasch. Der Umgang im Hackspace erinnert an ganzheitliche Medizin. Denn bevor auch nur ein Laptop aufgeklappt wird, will van Baal erst einmal plaudern: Welches Vorwissen bringt die Person mit? Wofür wird das eigene Gerät im Alltag verwendet? Wenn sich doch mal ein Fachwort ins Gespräch mogelt, erklären es van Baal und die anderen Helfer, die sich der Unterhaltung interessiert anschließen.

Die Entscheidung fällt auf die Distribution Linux Mint – und dann wird es doch ein bisschen technisch. Denn ein Betriebssystem kann nicht einfach wie eine Software auf einem PC installiert werden. Dafür muss man etwas tiefer in die Eingeweide des Gerätes vordringen. Zurücklehnen ist nicht, denn van Baal vertritt bei seinem Ehrenamt eine klare Linie: “Wir leisten hier Hilfe zur Selbsthilfe.” Ziel sei es nicht, dass die Leute in die Datenburg kommen, ihren Rechner abgeben und jemand die Installation für sie erledigt. “Sie sollen herkommen, Hilfe bekommen und es dann selbst machen”, so van Baal. Was zunächst einschüchternd wirkt, wird sich später noch als weise herausstellen.

Persönliche Daten sollte man auf einem anderen Gerät oder einer Festplatte gesichert haben, bevor man das Betriebssystem wechselt. Über eine Google-Suche gelangt man schnell auf die offizielle Webseite von Linux Mint und kann sich die sogenannte ISO-Datei herunterladen.

Dann benötigt man einen USB-Stick, auf dem sonst keine wichtigen Daten gespeichert sind. Die ISO-Datei wird auf den USB-Stick gebrannt – nicht einfach kopiert, das ist entscheidend. Auch hier helfen kostenlose, einfache Tools aus dem Netz, beispielsweise Balena Etcher. Das Programm hilft der ISO-Datei auf den USB-Stick – und dann kann es auch schon losgehen.

Denkste. Denn wie das manchmal so ist: Ausgerechnet, wenn die Journalistin zu Gast ist, klappt es nicht. Vorführeffekt. Aus irgendeinem Grund ist der Laptop störrisch, zeigt eine Fehlermeldung, die noch keiner der anwesenden Spezialisten jemals gesehen hat.

Hier zeigt sich, wie wertvoll barrierefreie Anlaufstellen für technische Hilfe sein können – wie sie anlässlich des Endes von Windows 10 überall in Deutschland entstehen und auf der Webseite endof10.org zusammengetragen werden. Wären diese Fehlermeldungen im heimischen Wohnzimmer aufgetreten, wäre die Panik nah gewesen, das Gerät zerstört zu haben.

Doch auch als der Abend schon weit vorangeschritten ist, fühlen sich viele der in der Datenburg versammelten Menschen für das Technik-Problem zuständig. Als klar wird, dass es vor Abfahrt der letzten Bahn nicht mehr gelöst werden kann, folgt die Einladung, doch in der kommenden Woche wiederzukommen: “Ich hab’ da ein paar Ideen”, kündigt einer an.

Doch dazu kommt es nicht. Denn die Linux-Gemeinschaft ist auch außerhalb der Datenburg äußerst hilfsbereit. Das Netz ist voller Anleitungen; auch Hilfsangebote via Telefon flattern zuhauf ins Postfach, wenn man in sozialen Netzwerken oder im Bekanntenkreis von Problemen berichtet.

Die meisten Menschen der Community sind begeistert über jede neue Person, die sich an Linux versuchen will. Sie sind überzeugt, dass das Betriebssystem zu einer besseren digitalen Welt beitragen kann – nicht nur, indem es funktionsfähige Computer vor dem Schrottplatz bewahrt, sondern auch, indem es jeden Einzelnen unabhängiger von US-Tech-Konzernen macht.

Und so findet sich wenige Tage später der entscheidende Tipp, damit die Installation läuft. Die wird dann – dank der Hilfe zur Selbsthilfe aus der Datenburg – alleine zu Hause vollzogen. Der Laptop läuft wieder – und das hoffentlich noch für viele Jahre.