30 Jahre nach dem Massaker an mehr als 8.000 Bosniaken werden in Bosnien-Herzegowina die Überreste weiterer Opfer beigesetzt. Für einen Moment steht das Land kollektiv still. Die Aufarbeitung bleibt dennoch schwierig.
In Bosnien-Herzegowina haben am Freitag Zehntausende Menschen der Opfer des Srebrenica-Massakers vor 30 Jahren gedacht. An der bewegenden Gedenkfeier im ostbosnischen Dorf Potocari nahmen neben Überlebenden und Angehörigen der Opfer auch zahlreiche politische Vertreter teil. Nach dem Gedenkakt wurden die Überreste von sieben Ermordeten beigesetzt.
Auch in der Hauptstadt Sarajevo erinnerten die Menschen an die Verstorbenen. Dort heulten zu Mittag die Sirenen, Autos hielten auf den Straßen an, Fußgänger standen eine Minute lang still, um innezuhalten. Die Behörden hatten einen landesweiten Tag der Trauer ausgerufen. Bereits in den vergangenen Tagen nahmen Tausende Menschen an einem 100 Kilometer langen “Friedensmarsch”, einem Ultramarathon und einem Motorrad-Konvoi in Erinnerung an die Opfer teil.
Das Srebrenica-Massaker, das am 11. Juli 1995 begann, gilt als dunkelstes Kapitel des Bosnienkriegs (1992-95). Innerhalb weniger Tage töteten Soldaten der bosnisch-serbischen Armee, Polizisten und Paramilitärs mehr als 8.000 muslimische Bosniaken aufgrund ihrer Religions- und Volkszugehörigkeit. Bei den Ermordeten handelte es sich vorwiegend um Männer und Jungen. Auch heute noch stößt man im Land auf ihre Massengräber. Unter den Opfern, die am Freitag beigesetzt wurden, befanden sich laut bosnischen Medienberichten zwei 19-Jährige. “Die Gräber der Opfer sind ein moralisches Gebot, wonach Dialog der einzige Weg zur Konfliktlösung sein darf”, betonte am Vortag Sarajevos katholischer Erzbischof Tomo Vuksic.
Auch Pfarrer Thomas Schwartz, Geschäftsführer des kirchlichen Osteuropa-Hilfswerks Renovabis mit Sitz in Bayern, war bei der Gedenkfeier anwesend. Am meisten beeindruckt habe ihn die Rede einer Opfermutter – ohne Groll und Hass: “Es war ein eindringlicher Appell gegen jeden Nationalismus, gegen jeden Fanatismus, gegen jede Menschenfeindlichkeit.” Die Versöhnung in Bosnien-Herzegowina geht derweil nur langsam voran. Durchkreuzt werde der Prozess immer wieder von “macht- und geldgetriebenen Interessen”, kritisiert Schwartz. Hinzu komme schädlicher Nationalismus.
So stand bei dem Gedenken erneut die Tatsache im Fokus, dass einige Kriegsverbrecher bis heute als Helden verehrt werden, allen voran im serbisch bevölkerten Teil Bosnien-Herzegowinas. Dazu sagte der angereiste EU-Ratspräsident António Costa: “Es gibt keinerlei Platz in Europa oder anderswo für Genozidleugnung, Geschichtsrevisionismus oder die Verherrlichung der Täter.”
Die Präsidentin des für Ex-Jugoslawien zuständigen UN-Gerichts, Graciela Gatti Santana, erklärte: Der beste Weg, Genozidleugnung zu bekämpfen, bestehe darin, an den Urteilen des Haager Tribunals festzuhalten. “Etwa indem wir den Fokus auf Bildung legen.” Wie der örtliche Sender N1 berichtet, wurden in Zusammenhang mit den Srebrenica-Verbrechen bisher 54 Menschen zu insgesamt mehr als 700 Jahren Haft verurteilt. Einige wurden von bosnischen Gerichten schuldig gesprochen, andere, wie der bosnisch-serbische Armeeführer Ratko Mladic, von internationalen Gerichten.
Zu der Gedenkveranstaltung waren zahlreiche internationale Vertreter angereist. Nato-Generalsekretär Mark Rutte, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wandten sich per Brief oder Video an die Versammelten. Solidaritätsbekundungen gab es zudem von den angereisten Staats- und Regierungschefs der anderen jugoslawischen Nachfolgestaaten Kroatien, Slowenien, Kosovo und Montenegro. “Es ist unsere Pflicht zu erinnern. Es ist unsere Pflicht, aufzustehen und niemals wegzuschauen, wenn Menschenrechte in Frage gestellt und die Würde anderer untergraben wird” sagte die aus Slowenien stammende EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos.
Geteilte Reaktionen rief indes eine Botschaft vom serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic hervor. Er bezeichnete die Gräuel von 1995 auf der Online-Plattform X als “schreckliches Verbrechen”. Außerdem erklärte er: “Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber wir müssen die Zukunft ändern. Im Namen der Bürger Serbiens möchte ich den Familien der bosniakischen Opfer erneut mein Beileid aussprechen und bin überzeugt, dass sich ein ähnliches Verbrechen nie wieder ereignen wird.”
Voriges Jahr hatte sich der serbische Staatschef gegen eine Resolution eingesetzt, mit der die UNO den 11. Juli zum internationalen Srebrenica-Gedenktag erklärte. Die Regierenden in Belgrad weigern sich nach wie vor, das Massaker von Srebrenica als Völkermord anzuerkennen.