„Tagundnachtgleiche“ – Filmische Hommage an die Romantik

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Alexander (Thomas Niehaus) ist ein eingefleischter Junggeselle. Er trinkt und raucht viel, schraubt an Fahrrädern und liebt es, ohne große Verpflichtungen zu sein. Bis er eines Abends aus dem Fenster eine junge Frau im Nebenhaus beim Tanzen beobachtet. Plötzlich ist er verzaubert und folgt ihr am nächsten Tag.

Paula (Aenne Schwarz) ist eine Varietekünstlerin, die Alexander sympathisch findet und die Nacht mit ihm verbringt. Mehr aber wird nicht daraus. Denn Paula kommt bei einem Autounfall um Leben. An ihrem Grab lernt Alexander ihre Schwester Marlene (Sarah Hostettler) kennen, die ihm viel über ihre tote Schwester erzählt. Über der gemeinsamen Trauer kommen sich die beiden näher.

„Tagundnachtgleiche“ ist ein außergewöhnlicher Debütfilm von Lena Knauss, gedreht in expressiven Nachtszenen, mit Aenne Schwarz und Sarah Hostettler als Projektionsfiguren männlicher Sehnsüchte. In poetischen Bildern kreist das Melodrama um die übersteigerte Fixierung auf eine angeblich perfekte Liebe. Eine Reflexion über die Romantik, deren kammerspielartige Atmosphäre durch die Auswahl klassischer Musikstücke noch betont wird.

Junggeselle Alexander lebt in einer karg eingerichteten Altbauwohnung über einer Werkstatt, in der er Fahrräder repariert. In seiner Freizeit hört er Schallplatten mit klassischer Musik, raucht und trinkt reichlich Schnaps. Alexander kommt bei Frauen gut an, scheint aber nicht an einer festen Beziehung interessiert.

Doch dann entdeckt er im Haus gegenüber die schöne Variete-Künstlerin Paula, die am Fenster für ihren Auftritt übt. Er folgt ihr in das Theater „Tagundnachtgleiche“, ist hingerissen von ihrer poetischen Performance, feiert mit ihr auf einer Party und verbringt eine wunderbare Liebesnacht mit ihr. Doch am nächsten Morgen schickt sie ihn weg. Kurz darauf erfährt Alexander, dass Paula bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.

An ihrem Grab begegnet er ihrer älteren Schwester Marlene, deren Stimme er aus dem Radio kennt: Sie moderiert die Klassiksendungen, die er regelmäßig hört. Spontan lädt sie ihn zum Kaffeetrinken bei ihren Eltern ein, die darunter leiden, dass Paula den Kontakt zu ihnen abgebrochen hatte. Beim gemeinsamen Trauern kommen sich Alexander und Marlene näher, doch er kann Paula nicht vergessen und idealisiert sie in Tagträumen zur einzigartigen großen Liebe.

Die bodenständige Marlene wiederum reagiert erst skeptisch, wird aber neugierig auf den Untröstlichen, der ihre sprunghafte Schwester angeblich so gut gekannt hat. Je mehr Zeit die beiden verbringen, umso stärker werden ihre Gefühle für ihn. Doch Alexander kann nicht loslassen; in seinen Erinnerungen und Wunschträumen tauschen die Schwestern sogar die Rollen.

Schon in der ersten Sequenz schlägt die Autorin und Regisseurin Lena Knauss einen wehmütigen Grundton an, der sich durch den ganzen Film zieht. Es regnet bei einer nächtlichen Autofahrt, im Radio erklingt eine Arie von Monteverdi. Regen und Schnee, Nachtszenen und klassische Musikstücke prägen die Atmosphäre.

Das kammerspielartige Psychogramm spielt meist in dunklen oder düsteren Innenräumen, nur selten öffnet sich der Blick ins Freie. Dafür schafft die virtuose Kamera von Eva Katharina Bühler häufig elegische Bildkompositionen für die Visionen und Tagträume des unglücklich verliebten Protagonisten, etwa wenn er die Erinnerung an die erste Liebesnacht rosarot umfärbt oder wenn er mit der imaginierten Paula im kühlen Wasser eines einsamen Waldsees taucht, aber allein ans Ufer schwimmt.

Das Kernthema des Liebesdramas ist die Suche nach der großen Liebe inklusive aller Projektionen und Illusionen, die diese Suche so beschwerlich und schmerzhaft, aber auch erhebend und beglückend machen können. Wie folgenreich Projektionen sein können, zeigt schon die Eingangsszene, in der der Identitätssucher Alexander Paula beim Trainieren beobachtet und sofort ihrer grazilen Ausstrahlung erliegt. Die Parallele zur voyeuristischen Grundkonstellation in Hitchcocks „Das Fenster zu Hof“ (1954) ist unübersehbar.

Thomas Niehaus gibt den wankelmütigen Anti-Helden auf der Suche nach Erlösung aus dem Jammertal der One-Night-Stands mit lässiger Souveränität und fragilem Charme. Dass die Chemie zwischen ihm und Sarah Hostettler stimmt, zeigen die vielen Zweierszenen, in denen sie als zunächst etwas herb wirkende ältere Schwester gekonnt zwischen Anziehung und Ablehnung, Neugier und Vorsicht, Schüchternheit und Mut pendelt. Aenne Schwarz bleibt zu wenig Leinwandzeit, um der Ballerina Paula ein schärferes Profil zu geben.

Mit ihrem ungleichen Liebesdreieck gelingt Lena Knauss eine feinfühlige filmische Hommage an die Romantik. Allerdings schleichen sich gerade in der zweiten Hälfte durch allzu ausführliche Nebenstränge einige Längen in das Drama, das zudem die Unreife des labilen Protagonisten zu üppig zelebriert. Durch das emotionale Chaos, das Alexander und Marlene im stetigen Auf und Ab durchlaufen, schimmert überdies schon früh die naheliegende Lösung durch, die beiden einen Seelenfrieden bescheren würde – so subtil ausbalanciert wie die titelgebende Tagundnachtgleiche, bei der Tag und Nacht zwei Mal im Jahr genau gleich lang sind.