Tagebücher: Das Tor zur Seele
Tagebuchschreiben entlastet. Es hilft, Gedanken zu sortieren. Gefühle klar zu fassen. Aber man muss darauf vertrauen können, dass niemand anders die Notizen liest
Mal ganz ehrlich sein, Gebet oder Selbstgespräch – Tagebuchschreiben entlastet. Es hilft, Gedanken zu sortieren. Gefühle klar zu fassen. Aber man muss darauf vertrauen können, dass niemand anders die Notizen liest. Knatsch mit den Freundinnen. Herzklopfen beim ersten Rendezvous. Stress mit den Eltern: Egal, wie turbulent es in meiner Teenager-Seele zuging – meinem Tagebuch konnte ich alles anvertrauen. Die Notizen füllen längst ein Regal.
In Jugendbüchern hatte ich gelesen, dass die Heldin ihre Einträge beginnt mit „liebes Tagebuch“. Meine Einträge glichen eher Gebeten. Noch heute spreche ich dabei Gott an und ende stets mit „Amen“. Verrückt? Schon immer haben Menschen Gott ihr Herz ausgeschüttet. Beim Lesen der Psalmen könnte man manchmal auch denken: Das könnten Tagebucheinträge sein.
Die wichtigste Regel für das Schreiben eines Tagebuchs: Es gibt keine Regel. Für manche Menschen funktioniert es, täglich festzuhalten, was sie erleben. Andere schreiben nur auf, wenn sie etwas sehr beschäftigt – Überlegungen, Ängste, Hoffnungen und Wünsche.
Tagebuch schreiben entlastet und hilft bei Entscheidungen
Ob Gebet oder Selbstgespräch – Tagebuchschreiben ist entlastend. Es hilft, Empfindungen zu sortieren. Gefühle klarer zu fassen. Durchs Schreiben entsteht eine Distanz, man betrachtet sich gewissermaßen von außen, kann als Betrachter die Dinge aus einem anderen Blickwinkel sehen. Gerade auch wenn man vor schweren Entscheidungen steht, hilft es, Argumente aufzuschreiben, Beweggründe, das Für und Wider. Dann fällt das Abwägen leichter.
Manchmal gibt es Gedanken und Gefühle, die möchte man nicht laut aussprechen. Aber sie schriftlich festzuhalten, das ist leichter möglich. Und vielleicht der erste Schritt, um später doch einmal darüber reden zu können.
Es kann gefährlich werden, wenn jemand anders das Tagebuch liest
Aber Vorsicht: Es kann brandgefährlich werden, wenn jemand anders das Tagebuch liest. Denn oft sind da Momentaufnahmen festgehalten: Die Tochter fasst die Wut auf die Eltern in Worte, schimpft und schreibt Dinge, die sie ihren Eltern so nie sagen würde. Womöglich haben sich Streit und Zorn wenig später in Luft aufgelöst. Das findet aber meist keinen Eingang ins Tagebuch. Was passiert, wenn dann jemand anders diese Passage liest?
Oder ein Mann schreibt über das Verhalten seiner Partnerin, was ihn verletzt und was ihn an ihr nervt. Später spricht er sich mit ihr aus, alles ist gut – das kommt in seinen Notizen dann aber nicht mehr vor. Solche Einträge können ohne Zusammenhang katastrophal missverstanden werden.
Tagebücher können ein Segen sein. Aber sie sind nicht für andere da – sondern dienen dem Schreiber oder der Schreiberin selbst. Daher gilt: Finger weg von Tagebüchern anderer! Wer das beherzigt, vermeidet einen gefährlichen Weg. Und erweist Verständnis und Respekt dafür, dass es im tiefsten Innern unserer Seele oft recht turbulent zugehen kann.