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Syrische Christen: Warum sie nicht zurückkehren wollen

Ein Jahr nach dem Fall des Assad-Regimes fürchten Christen um ihre Zukunft in Syrien. Die Gemeinden dürfen nicht verwaisen und brauchen Unterstützung.

Syrische Christen halten ihren ersten Sonntagsgottesdienst seit Assads Sturz ab
Syrische Christen halten ihren ersten Sonntagsgottesdienst seit Assads Sturz abImago / ABACAPRESS

Etwa 400.000 Christen leben heute schätzungsweise in Syrien. Die größte christliche Gemeinschaft ist die Ruhm-orthodoxe Kirche. Ihre Zukunft ist ungewiss. Dazu trägt auch die radikal-islamistische Ideologie im öffentlichen Raum bei. Im Interview mit Constance Bürger spricht Amill Gorgis über die schwierige Lage für Christen an den Schulen und warum christliche Syrer aus Berlin nicht in das Land zurückkehren wollen. Der gebürtige Syrer Amill Gorgis lebt seit 1970 in Berlin und ist dort Ökumene-Beauftragter der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien. In der Hauptstadt leben etwa 2.500 syrisch-orthodoxe Christen.

Herr Gorgis, in diesen Tagen jährt sich der Fall des Assad-Regimes zum ersten Mal. Wie erleben Sie die Situation in Syrien?
Viele haben sich gefreut, als die Diktatur vorbei war. Eine islamische Diktatur ist gefolgt. Die ist eigentlich nicht anders als unter Assad, aber mit anderen Vorzeichen.

Wie geht es in diesen Zeiten den Christen vor Ort?
Es gab Pogrome gegen Alawiten, gegenüber Drusen. Und auch gegenüber Christen. Da wurden Friedhöfe geschändet. In der Mar Elias Kirche gab es im Juni einen Bombenanschlag mit 30 Toten und viele Verletzte. Es gibt viele Entführungen, auch von Christen. Das kann so nicht weitergehen. Die Regierung muss eine Lösung finden. Besonders Angst macht uns Christen die Lage in den Schulen.

Warum?
Was dort vermittelt wird, ist eine Verherrlichung des Islams. Sie sind missionarisch sehr stark geprägt. Es gibt vor dem Unterricht Parolen: „Seid ihr bereit, für den Islam zu sterben?“ Wir Christen möchten gerne, dass eine Jugend erzogen wird, die einander die Hand reicht und nicht auf Rache sinnt. Es gibt sicherlich sehr viele Verletzungen aus der Vergangenheit, die man auch verstehen kann. Aber das Problem kann nicht überwunden werden, indem man noch einmal Rache ausübt. Das heißt nicht, dass man auch Gerechtigkeit walten lassen muss. Aber das muss in einem Rechtsstaat passieren.

Wie gehen christliche Schülerinnen und Schüler mit dieser Atmosphäre um?
Es gibt Schulen, die unter der Trägerschaft der Kirchen sind. Aber diese Schulen brauchen sehr viel Unterstützung, früher hat das die Mittelschicht gemacht. Sie ist heute verarmt. Das heißt, wenn jetzt von außen keine Unterstützung kommt, werden diese Schulen über kurz oder lang nicht mehr finanzierbar sein. Diese Schulen waren nicht nur für christliche Schüler offen. Da waren sogar mehrheitlich muslimische Schüler. Es gab Freundschaften, man hat sich nicht als Gegner empfunden. In den öffentlichen Schulen, wo das radikale Gedankengut islamischer Religion herrscht, ist es für christliche Schüler nun unheimlich schwer. Wie soll das weitergehen? Ich weiß es nicht. Christen denken darüber nach, aus dem Land zu fliehen.

Gibt es christliche Stimmen in Syrien, die sich gegen diese Missstände stellen?
Ja, die Bischöfe, melden sich zu Wort, aber, es gibt Organisationen, die sich zu diesen Ängsten und zu dieser Ideologie äußern . Es gibt da zwei Ebenen – offiziell macht die Regierung den Anschein, dass alle gut zusammenleben. Aber auf der unteren Ebene, da lassen sie allen freien Lauf. Sie sagen: Es gibt ja die freie Meinung. Das ist richtig, aber es ist nicht richtig, wenn radikale Muslime mit Lautsprechern vor die Kirchen kommen und den Koran rezitieren, sodass die christlichen Gläubigen ihren Gottesdienst gar nicht mehr verstehen können. Oder wenn aus den Moscheen über Lautsprecher gegen Andersdenkende oder Glaubende gehetzt wird.

Und wie erleben Sie die Stimmung in Ihrer Gemeinde in Berlin?
Es gibt keinen Christen, der hier lebt und daran denkt, nach Syrien zurückzukehren. Wir machen uns große Sorgen um die Verwandten, die dort geblieben sind. Und wir machen uns Sorgen um das Land. Syrien war eigentlich multiethnisch und multireligiös.

Glauben Sie weiterhin an die Möglichkeit eines Vielvölkerstaates in Syrien?
Es gibt den liberalen Dialog, auch in Syrien. Aber momentan gibt der politische Islam dort den Ton an. Diese Entwicklung, wenn man sie nicht bremst, wird nicht nur für die Menschen in Syrien schwer erträglich sein. Sie wird auch Folgen haben darüber hinaus.

Welchen Appell haben Sie an die Kirchen in Deutschland?
Die christlichen Gemeinden in Syrien dürfen nicht verwaisen. Man muss schauen, wie man christliche Einrichtungen wie Schulen und Hospitäler weiterhin stärken kann, auch damit überhaupt christliches Leben und Zeugnis sichtbar bleibt. Nur so können Christen in der Öffentlichkeit ihre Botschaft zeigen. Und das ist nicht nur für Christen wichtig, sondern auch für die Muslime. Dann lernen sie, dass es Menschen sind, die nur was Gutes tun wollen. Wenn wir die Christen jetzt im Stich lassen, dann sind sie mit ihrem Auftrag überfordert. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass ein Teil der Entwicklungshilfe der Bundesregierung auch für christliche Einrichtungen eingesetzt wird. Besonders für Bildungseinrichtungen unter der Trägerschaft der Kirchen, darin kann Zukunft gestaltet werden.