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Syrien: “Unser Land leidet Schmerzen”

Im Dezember 2024 wurde in Syrien Diktator Bashar Al-Assad gestürzt. Seitdem sucht das Land, das von 13 Jahren Bürgerkrieg und vom schweren Erdbeben 2023 tief gezeichnet ist, einen Weg aus der Krise.

Die Großstadt Aleppo ist in weiten Teilen zerstört. Nur für wenige Stunden täglich gibt es Strom und Wasser
Die Großstadt Aleppo ist in weiten Teilen zerstört. Nur für wenige Stunden täglich gibt es Strom und WasserHosam Katan

Noch einen Monat später sind die Schäden an der griechisch-orthodoxen Mar Elias Kirche im Herzen von Damaskus deutlich sichtbar. Ein Loch im Boden zeugt von der gewaltigen Explosion einer Bombe, die ein Selbstmordattentäter des Islamischen Staats am 22. Juni am Eingang der Kirche zündete. 25 Menschen starben, viele wurden verletzt. “Es war schrecklich, was an diesem Tag hier geschehen ist“, sagt Archimandrite Meletius Shattahi, der nach der Explosion aus seinem Büro in die Kirche eilte, um zu helfen. „Wir haben in den Tagen danach viel Solidarität und Beileidsbekundungen erhalten, vor allem auch von muslimischen Mitbürgern“, berichtet Meletius. Dies sei wichtig und ermutigend, weil viele Menschen in Syrien schmerzlich begreifen, dass das friedliche Zusammenleben zwischen religiösen Gruppen ständig gefährdet ist.

Gewalt zwischen Volksgruppen fordert viele Tote

In den vergangenen Monaten hatten bereits mehrfach Gewaltausbrüche und Massaker entlang verschiedener Volksgruppen stattgefunden. Im Juli forderten Kämpfe zwischen Drusen und Beduinen im Süden Syriens Hunderte Tote. „Es wird ein Drahtseilakt, diese Spannungen in den kommenden Monaten abzubauen, damit die Hoffnungen der Menschen auf Veränderungen nicht in Resignation und Frust umschlagen“, sagt Martin Keßler, Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe. Er war Ende Juli vor allem im Nordwesten Syriens unterwegs, um sich von der humanitären Lage ein Bild zu machen und die Hilfsprojekte von zwei Partnerorganisationen zu besuchen.

Aleppo ist zerstört – Strom und Wasser nur für wenige Stunden

Bis heute ist von einem großflächigen Wiederaufbau wenig zu sehen. Die Großstadt Aleppo, die wie keine andere für den blutigen Bürgerkrieg steht, ist in weiten Teilen zerstört. Nur für wenige Stunden täglich gibt es Strom und Wasser. Ganze Stadtteile und Vororte liegen in Schutt und Asche und sind kilometerweit unbewohnt. Dasselbe gilt für die Stadt Idlib weiter südlich.

Dort hat die Hilfsorganisation GOPA-DERD, eine syrische Partnerorganisation der Diakonie Katastrophenhilfe, begonnen, 200 beschädigte Wohnungen und Häuser wieder zu sanieren. Der Bedarf ist enorm, denn viele Syrerinnen und Syrer kehren trotz der Herausforderungen freiwillig zurück: Laut den Vereinten Nationen rund 1,5 Millionen intern Vertriebene sowie 700.000 Geflüchtete aus dem Ausland – vor allem dem Libanon und der Türkei.

Crash-Kurse in Betriebswirtschaft

Um die Folgen von Inflation und anhaltender Wirtschaftskrise abzumildern, benötigen die Menschen zudem Unterstützung beim Lebensunterhalt. In Atarib, einem Vorort von Idlib, geben Mitarbeitende der Partnerorganisation BAHAR vor allem jungen Leuten einen Crash-Kurs in Betriebswirtschaft. In wenigen Tagen lernen sie, wie sie ihre bereits laufenden Geschäfte wie Nähereien, Bauernhöfe oder Lebensmittelläden wirtschaftlicher leiten. Wenn sie den Kurs erfolgreich durchgeführt haben, erhalten sie am Ende eine Bargeldhilfe von rund 750 Euro, um sich Waren oder Material davon zu kaufen.

Um die Folgen von Inflation und anhaltender Wirtschaftskrise abzumildern, benötigen die Menschen zudem Unterstützung beim Lebensunterhalt
Um die Folgen von Inflation und anhaltender Wirtschaftskrise abzumildern, benötigen die Menschen zudem Unterstützung beim LebensunterhaltHosam Katan

Die 21-jährige Muneera Hisham Al-Sayed Yahya ist eine von insgesamt 120 Teilnehmenden. „Zusammen mit meinen fünf Schwestern und meiner Mutter stellen wir Käse her. Täglich verkaufen wir rund zwei Kilo davon, was zu wenig ist“, weiß sie. Es fehle vor allem an Kunden. Von einst 20.000 Einwohnern leben nur noch ein Drittel in dem Ort. Nur langsam steigt die Einwohnerzahl wieder an. „Als das Land befreit wurde, hofften wir auf eine Verbesserung unserer Lage. Aber unser Land leidet Schmerzen und benötigt Unterstützung von anderen Ländern“, sagt die junge Frau.

“Syrien benötigt dringend internationale Unterstützung”

Noch immer sind mehr als 16 Millionen Menschen in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Weltbank schätzt die Kosten für den Wiederaufbau des Landes auf mindestens 400 Milliarden US-Dollar. „Diese Bürde kann das Land nicht allein stemmen. Syrien benötigt auf so vielen Ebenen dringend internationale Unterstützung und multikonfessionelle Solidarität innerhalb des Landes, um aus der Krise herauszukommen und nicht erneut Konfliktherd zu werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Lage im Land kippt und wollen weiter unseren Beitrag dazu leisten“, sagt Martin Keßler.