Symbol für Gottes vergebende Liebe

UK 9/2019, Symbole/Glocken mit Hakenkreuz (Leitartikel Seite 1: „Glockengeläut mit Haken“, Seite 4: „Höhepunkt: Anzeige gegen Kirche“)
Was macht die Glocke zur Kirchenglocke? Zunächst sind Glocken nichts typisch Kirchliches oder Christliches. Es gibt sie an Haustüren, als Glockenspiel in Einkaufsstraßen, auf Rathaustürmen, auch um Rinderhälse…
Die Glocken fordern, wie jedes Symbol, zur Interpretation heraus. Der Kirchturm gibt dafür ein Zeichen, ebenso die Zeiten für das Geläut, doch klares Bekenntnis ist der in jede Kirchenglocke eingeschlagene Bibeltext. Leider ist dieser meist nur wenigen in der Gemeinde bekannt, nur selten wird darauf Bezug genommen.

In unserer Kirchengemeinde Wattenscheid-Leithe steht ein Taufbecken, das vom landeskirchlichen Archivar als ein „bedeutsames gemeinde- und kirchengeschichtliches Zeugnis, in dieser Form wohl einzigartig“ bezeichnet wurde: Das Taufbecken trägt die Inschrift: „Von den drei Glocken der Kirchengemeinde Leithe/– gegossen 1930 –/wurden zwei am 8. 1. 1942/an die Kriegswirtschaft ausgeliehen./Aus dem Material der letzten Glocke/die bis Juni 1943 allein den Dienst versah/vor allem auch als Alarmglocke/bei Polenüberfällen 1945/wurde dieses Taufbecken 1952 gegossen/Seit dem 13. 7. 1947 verrichten/drei neue Stahlglocken das Geläute/Markus 5, 36/Fürchte dich nicht glaube nur“.
Als im April 1945 die Amerikaner in Wattenscheid einmarschierten, überließen SA, SS und Werkschutz die Männer und Frauen in den Zwangsarbeiterlagern sich selbst. Ihre Ernährung war all die Jahre äußerst mangelhaft. Im letzten Kriegswinter 1944/45 gab es nicht einmal mehr Kohl für die dünne Kohlsuppe.
Nicht nur der Hunger, manchmal auch Rache, weil Gewalt und Brutalität in den Lagern herrschte, trieb die bisher Gefangenen in die Häuser zu den Wintervorräten der Bewohner. Dann läutete die Alarmglocke. Pfarrer, Presbyter, die wenigen wehrhaften Männer griffen zu starken Knüppeln, um die Suchenden mit Gewalt zu vertreiben.

Nach und nach erkannten die Männer dieses Handeln als ihre Schuld und sieben Jahre nach Kriegsende, als die Naziideologie längst noch nicht vergessen war, ließ die Gemeinde die Glocke zu dem Symbol, dem Kennzeichen für Gottes vergebende Liebe, zum Taufbecken umarbeiten. Buchstabe für Buchstabe, Zahl für Zahl ist der oben zitierte Text in den Bronzemantel eingeschlagen und ruft auch die Nachfolgenden dazu auf, sich der vergebenden Liebe Gottes anzuvertrauen.
Allen Gemeinden mit den Zeichen der menschenverachtenden Herrschaft im so genannten Dritten Reich wünsche ich, dass die Glocken schweigen und dass Christen, Juden, Nichtchristen gemeinsam überlegen, was jetzt damit geschehen soll.
Ruth Rogalla, Bochum