Symbol eines Neuanfangs
Bereits in den 1970er Jahren flohen syrisch-orthodoxe Christen vor Krieg und Verfolgung nach Deutschland. Ein ehemaliges Dominikaner-Kloster in Warburg wurde zum neuen Zentrum für ihre Glaubensgemeinschaft
„Heimat, das ist – leider – wohl nichts Bleibendes, sondern ein Zustand, den ich immer wieder neu herstellen muss.“ Adnan Mermertas spricht aus Erfahrung. Mit vielen anderen syrisch-orthodoxen Christen hat er bereits als Jugendlicher 1971 seine Heimat in Midyat in Südostanatolien verlassen.
Damals gerieten die Christen in der Region des Tur Abdin zwischen die Fronten des türkisch-kurdischen Konfliktes und wurden von beiden Seiten bedroht. Hinzu kamen fast tägliche Diskriminierungen und Übergriffe von muslimischer Seite. Ein Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung, das unter den meisten syrisch-orthodoxen Christen zu dem Entschluss führte, die Heimat für immer zu verlassen.
Mermertas kam als 15-Jähriger nach Wanne-Eickel. Andere syrisch-orthodoxe Christen siedelten sich im Raum Gütersloh an, im Ruhrgebiet oder im Münsterland. Mit dem Verlust der alten Heimat stellte sich auch die Frage nach einer neuen geistlichen Heimat. Im Tur Abdin bildeten die zahlreichen Klöster aus frühchristlicher Zeit, wie das als Wallfahrtsort bekannte Kloster Mor Gabriel, das geistliche Zentrum der „aramäischen Christen“ im Tur Abdin. Denn die aramäische Sprache, die Jesus gesprochen hat, ist ihre Kirchensprache und damit identitätsstiftend für die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Anfang an.
In Deutschland gelang es, erste Gemeinden aufzubauen. Auch die Evangelische Kirche von Westfalen unterstützte die syrisch-orthodoxen Christen dabei und überließ ihnen einige ehemalige Kirchengebäude, die aufgegeben werden mussten. Aber es fehlte ein geistliches Zentrum. 1993 dann entschloss sich die Dominikanerprovinz Teutonia, ihr Dominikanerkloster in Warburg aufzugeben. 1996 konnte die Syrisch-Orthodoxe Kirche die neugotische Anlage mit Klosterkirche und einem großen Gartengelände erwerben. Benannt wurde es nach Jakob von Sarug (451-521 n. Chr.), Bischof und aramäischer Hymnendichter.
Seitdem hat sich das Kloster zur geistlichen Heimat der mehr als 120 000 syrisch-orthodoxen Christen in Deutschland entwickelt. Seit einigen Jahren finden Familientage statt, zu denen etwa 2000 Menschen ins Kloster kommen. 2015 organisierte die Diözese einen ersten Syrisch-Orthodoxen Kirchentag, an dem der heutige Patriarch der Syrisch-Orthodoxen Kirche, Mor Ignatius Ephrem II., teilnahm. Es kommen aber auch Besuchergruppen aus evangelischen und katholischen Gemeinden, die die klösterliche Gastfreundschaft erleben.
Ein „Highlight“ ist das kleine, modern ausgestattete Klostermuseum. Es erinnert an das Leben von Patriarch Mor Ignatius Zakka I. Iwas, der 2014 in Deutschland starb. Für die aramäischen Christen neben der Trauer auch ein Symbol: „Wenn unser Patriarch in Deutschland verstirbt, dann heißt das für uns, die Zukunft unserer Kirche wird auf jeden Fall auch in Deutschland sein. Wir wissen nicht, wie sich die Lage unserer Kirche in der Türkei und in Syrien in den nächsten Jahren weiter entwickeln wird“, betont Augin Yalcin.
Zusammen mit Mermertas hat Yalcin dafür gesorgt, dass der syrisch-orthodoxe Religionsunterricht in den Schulen in Nordrhein-Westfalen als ein ordentliches Lehrfach anerkannt worden ist. Beide setzen sich jetzt dafür ein, dass Aramäisch als Herkunftssprachlicher Unterricht in den Schulen, in denen syrisch-orthodoxe Kinder und Jugendliche ausgebildet werden, angeboten wird. „Für die Zukunft unserer Kirche in Deutschland ist es entscheidend, dass wir auch Religionslehrer ausbilden und den Nachwuchs der Priester fördern“, so Yalcin, der selber „Malfono“ (Religionslehrer) ist.
Deshalb haben Mermertas und Yalcin zusammen mit ihrem Erzbischof begonnen, eine Klosterschule in Warburg aufzubauen, die diesem Anliegen Rechnung tragen soll. In diesem Sommer verbrachten 40 Jugendliche aus Deutschland und Schweden mehrere Wochen im Kloster, um Aramäisch zu lernen sowie die Grundlagen der Geschichte und Theologie der Syrisch-Orthodoxen Kirche. Sie sollen ihre Wurzeln als „Syro-Aramäer“ kennenlernen und verstehen, dass ihre heutige Heimat im Ruhrgebiet oder in Westfalen und ihre geistliche Heimat in der Syrisch-Orthodoxen Kirche zusammengehören.
„Mit dem Auszug vieler syrisch-orthodoxer Christen aus dem Nahen Osten in die Diaspora muss sich die Kirche neuen Herausforderungen stellen. So muss sich auch die Weitergabe des Glaubens mit den neuen Kontexten auseinandersetzen. Der syrisch-orthodoxe theologische Studiengang im Kloster soll in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle übernehmen“, hofft Erzbischof Mor Philoxenus Mattias Nayis.
• Christian Hohmann ist Regionalpfarrer im Amt für MÖWe und zuständig für die Beziehungen zu den altorientalischen Kirchen.