Suche nach einer Altenpflege der Zukunft

Gute Idee oder Wolkenkuckucksheim? Karl Lauterbach will die Pflege in Deutschland verändern. Er wirbt für eine Mischform zwischen Heim und eigenen vier Wänden. Ob das funktioniert?

Rapide steigende Kosten in Alten- und Pflegeheimen. Riesige Personallücken in ambulanter und stationärer Pflege. Überforderte Angehörige bei der Betreuung pflegebedürftiger Menschen zu Hause. Wie die Altenpflege angesichts des demografischen Wandels noch funktionieren soll, ist vielen ein Rätsel.

Die Suche nach Auswegen ist mühsam, doch einige Vorschläge zeichnen sich ab: Das fängt bei der Gesundheitsförderung an. So fordern Krankenkassen eine stärkere Gewichtung von Prävention und Rehabilitation, um Pflegebedürftigkeit zu verhindern oder zumindest hinauszögern.

Ein anderer Ansatz ist die Stärkung der ambulanten Pflege, um pflegebedürftigen Menschen ein möglichst langes Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Dazu können technische Hilfsmittel zur Sturzvorbeugung oder Apps zur Gesundheitsüberwachung beitragen. Auch gibt es Forderungen, pflegende Angehörige, die derzeit die Versorgung zu mehr als 80 Prozent schultern, stärker zu unterstützen – etwa durch mehr Kurzzeit-, Tages- und Nachtpflege und durch einen Pflegelohn als Lohnersatzleistung.

Das von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplante Pflegekompetenzgesetz sieht zudem deutliche Veränderungen des Pflegeberufs vor: So soll das Berufsbild der Advanced Practice Nurse oder Community Health Nurse nach internationalen Vorbildern eingeführt werden. Dabei handelt es sich um gut ausgebildete Pflegekräfte, die in Dörfern und Stadtteilen vor Ort Gesundheitsfürsorge und soziale Beratung anbieten. Außerdem will Lauterbach Pflegekräften mehr medizinische Kompetenzen zuschreiben. Sie sollen etwa bestimmte Hilfs- und Arzneimittel verschreiben dürfen – auch das ein Ansatz, damit Pflegebedürftige länger zu Hause leben können.

Zunehmend mehr politische Aufmerksamkeit gewinnt das Konzept der “stambulanten Pflege” – einer Mischform zwischen ambulanter und stationärer Pflege. Sie ist vor allem für Menschen gedacht, die nicht in eine stationäre Pflegeeinrichtung wollen, aber auch nicht mehr allein zu Hause leben können. Die Erwartungen an das bisher nur in einem Modellversuch erprobte System sind groß. Lauterbach, der am Donnerstag im ZDF dafür warb, plant sogar, die stambulante Pflege als Regelversorgung zu ermöglichen.

Das Modell sieht vor, dass pflegebedürftige Menschen in eigenständigen Wohngemeinschaften zusammenleben. Alle Bewohner erhalten eine Grundpflege nach dem ambulanten Pflegegesetz. Weitere Pflegeleistungen können bei Bedarf hinzugebucht werden.

Die Hoffnung dahinter: Stambulante Einrichtungen fördern die Selbstständigkeit der Pflegebedürftigen, sodass sie länger geistig und körperlich fit bleiben. Hauswirtschaftliche Tätigkeiten wie Bettenmachen, Putzen, Waschen oder Kochen werden auf viele Schultern verteilt – auch auf die Schultern von Angehörigen. Stambulante Pflege benötige weniger Pflegepersonal und verursache auch weniger Kosten, so die Hoffnung der Entwickler des Modellprojekts.

Der Deutsche Pflegerat reagiert zurückhaltend: “Wir unterstützen neue Versorgungsformen und sind bei Innovationen gern dabei”, sagte Pflegeexperte Thomas Meißner. Allerdings würden die Hauptprobleme der Pflege durch eine stambulante Versorgung nicht gelöst – etwa der große Mangel an Fachpersonal und geeigneten Räumlichkeiten. Dass Angehörige einen Teil der Arbeiten übernehmen sollten, sei vielfach praxisfern.

Zudem seien der stationäre und der ambulante Bereich in Deutschland auch rechtlich und versicherungstechnisch strikt getrennt, warnt das Pflegerats-Mitglied. Um Mischformen zu ermöglichen, bedürfe es zahlreicher Änderungen der Vorschriften. Meißner verwies auf das bestehende Modell von Alten-Wohngemeinschaften. Sie würden mittlerweile durch Rechtsvorschriften – etwa zu Brandschutz oder Hygiene – so stark reguliert, dass jegliche Flexibilität verloren gehe.

Noch härter geht die Deutsche Stiftung Patientenschutz mit Lauterbach ins Gericht. “Das Modell wird teurer als jeder Pflegeplatz. Schließlich muss ein Netzwerk von mobilen, kurzfristig abrufbaren Pflegekräften vorgehalten werden”, sagte Vorstand Eugen Brysch. Er sprach von einem “Wolkenkuckucksheim”, mit dem der Minister von den nicht gemachten Hausaufgaben in der Pflege ablenke.