Studientag gibt Hobbyforschern Hilfestellung zur NS-Familienrecherche
Welche Rolle die eigenen Vorfahren im Nationalsozialismus gespielt haben, ist in vielen Familien ein Tabuthema. Für Interessierte bietet die Versöhnungskirche Dachau jetzt einen Workshop „Nazis in der eigenen Familie?“ an, der Tipps und Hilfestellungen zur kritischen Recherche vermittelt. Dabei gehe es nicht um Schuldzuweisungen, erklärte Pfarrer Björn Mensing im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Wir wollen wegkommen von Schwarz-Weiß-Bildern: entweder Widerstandskämpfer oder Nazi.“ Wer sich stattdessen mit den Grautönen der eigenen Familiengeschichte beschäftige, könne etwas über die Mechanismen lernen, aufgrund derer so viele Menschen ins NS-Regime verstrickt gewesen seien.
Inzwischen sei es leicht, an biografische Daten zu kommen, erklärte der Historiker. Das Bundesarchiv beherberge die fast vollständige NSDAP-Mitgliederkartei, in einer Freiburger Außenstelle lägen Informationen darüber, wo einzelne Wehrmachtsangehörige eingesetzt waren. Über NS-Verfolgte fänden sich viele Dokumente in den frei zugänglichen Arolsen Archiven.
Um mit einer Recherche zu starten, genüge in der Regel der Name sowie Geburtsdatum und -ort der betreffenden Person, sagte Mensing. Detaillierte Informationen über Täter oder Mitläufer fänden sich jedoch meist nur bei exponierten Personen der Geschichte. In allen anderen Fällen müsse man versuchen, sich über den Kontext an die Lebensgeschichte anzunähern: „Wenn man den Einsatzort kennt, kann man das damalige Umfeld erkunden und Rückschlüsse ziehen, ob zum Beispiel ein Wehrmachtssoldat in Kriegsverbrechen verwickelt gewesen sein könnte“, erläutert Mensing.
Das Thema sei jedoch bei vielen schambehaftet: „Manche empfinden eine Mitschuld oder haben Angst vor Ablehnung“, hat der Pfarrer erlebt, der selbst vor fünf Jahren die Geschichte seines Großvaters – bis 1933 SPD-Mitglied, ab 1940 NS-Amtskommissar im besetzten Polen – öffentlich gemacht hatte. Dennoch empfehle er die Beschäftigung mit der Familiengeschichte: „Ich bin als Enkel nicht verantwortlich für die Taten meiner Vorfahren. Aber indem ich ihre Beteiligung am NS-Regime bekenne, kann ich eine Aussöhnung mit den Nachkommen von Opfern und mit der eigenen Familiengeschichte erreichen.“ Zudem werde dabei deutlich, dass eine autoritäre Staatsform „den Großteil ihrer Bürger zu Komplizen“ mache. „Wir müssen alles dafür tun, dass es nicht wieder dazu kommt“, betonte Mensing. (00/2919/01.10.2024)