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Studie: Missbrauch wurde an Schulen oft ignoriert oder vertuscht

Schule als Tatort: Laut einer Studie der Aufarbeitungskommission des Bundes zu sexuellem Kindesmissbrauch haben Betroffene häufig keine Unterstützung erhalten. Experten fordern klare Konsequenzen.

Betroffene sexueller Gewalt in der Schule haben in der Vergangenheit vielfach keine Hilfe bekommen – das ist eines der zentralen Ergebnisse einer am Mittwoch in Berlin vorgestellten Studie der Unabhängigen Kommission des Bundes zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs.

Oft habe es Mitwissende gegeben, die Kollegialität vor den Schutz der Kinder gestellt hätten. Sie ignorierten Übergriffe oder vertuschten sie sogar, um den Ruf der Schule zu schützen, wie es heißt. Täter waren Lehrkräfte, schulisches Personal oder Mitschüler. Die unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, forderte verpflichtende Schutzkonzepte für Schulen in allen Bundesländern.

Betroffene reagierten laut der Studie häufig mit eigenen Strategien, um der Gewalt zu entkommen: Sie schwänzten die Schule oder wiederholten eine Klasse. Die Kommission wertete 133 Berichte von Betroffenen aus den Jahren 1949 bis 2010 aus. Fast ein Viertel bezog sich auf Fälle in der DDR. Knapp 80 Prozent der Betroffenen waren weiblich. Die überwiegende Mehrheit der Täter war männlich, sowohl bei Übergriffen durch Gleichaltrige als auch durch Lehrkräfte.

Die Kommission fordert einen besseren Schutz für Kinder und Jugendliche an Schulen. “Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, für ein unversehrtes Aufwachsen junger Menschen in Schulen zu sorgen”, sagte die Vorsitzende des Gremiums, Julia Gebrande. “Wenn wir die Strukturen verstehen, die Missbrauch begünstigen, dann können wir das System Schule weiterentwickeln und Kinder und Jugendliche zukünftig besser schützen.”

Die Studie solle dazu anregen, sich in Schulen mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche auseinanderzusetzen und Betroffenen zuzuhören, so Gebrande. Die Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch sei notwendig, um das Leid der Betroffenen und das Unrecht anzuerkennen. In jedem Bundesland müsse es eine unabhängige Beschwerdestelle zu dem Thema geben. Die Bildungsforscherin und Studienautorin Edith Glaser sagte, Kinderschutz müsse Teil der Aus- und Weiterbildung für Lehrkräfte werden.

Die Missbrauchsbeauftragte Claus verwies auf die Rolle von Schulen beim Schutz vor Missbrauch. “Nur in Schulen erreichen wir alle Kinder und Jugendlichen, egal, ob der Missbrauch zu Hause, im Netz, im Verein, durch Gleichaltrige oder durch Lehrkräfte stattfindet”, sagte sie der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Schutzkonzepte in Schulen müssten daher in allen Bundesländern verpflichtend sein. Bisher sei das nur in sieben Ländern gesetzlich geregelt. Schätzungsweise sind im Schnitt ein bis zwei Kinder pro Schulklasse von sexualisierter Gewalt betroffen.

Auch Claus forderte, dass das Thema Kinderschutz – einschließlich des Umgangs mit sexualisierter Gewalt – fester Bestandteil der Lehramtsausbildung sowie der Fort- und Weiterbildung werden müsse. “Lehrkräfte müssen wissen, wie sie Anzeichen erkennen, richtig reagieren und wo es Unterstützung gibt – gerade auch, wenn der Verdacht Kolleginnen oder Kollegen betrifft.”